Bigotterie ist gar kein neuer Fetisch

Wir schreiben das Jahr 2013. Berlin, die liberalste Stadt Deutschlands. Am Nollendorfplatz laufen nachts schwule in Leder mit ihrem Sklaven an der Leine neben Muslimas im Kopftuch, 100 m von der jüdischen Synagoge in der Oranienburger stehen Prostituierte in roten Latexstiefeln und auf der Kurfürstenstraße bieten sich minderjährige Junkies für Münzen dem Berufsverkehr an. Auf TV Berlin sieht man nachts wild kopulierende, dicke Bulgarinnen und einmal im Jahr sammelt sich auf dem Messegelände Europas Pornoindustrie zur Venus -inklusive Pressetermin mit Kutsche und Pony-Boys (auf der offenen Straße). Doch Berlin ist nicht tolerant und liberal. Der größte Fetisch in Berlin ist immer noch die Bigotterie.

Das Dorf Berlin

Neben dem lauten, sichtbaren Porno-Berlin existiert ein konservatives, verschlossenes und engstirniges Dorf: Als Europas größter Hersteller erotischer Spielzeuge, FunFactory, einen FlagshipStore in Berlin eröffnen wollte, erhielten sie knapp 30 Absagen von Immobilienbesitzern – Man wollte so ein Geschäft nicht als Mieter haben (Nach langem Suchen fanden sie schließlich ein Geschäft am Hackeschen Markt). In Neukölln werden zwar immer mehr Minderjährige zwangsverheiratet, aber wehe, eine Frau wagt sich mit einem zu kurzen Rock auf die Sonnenallee! Und Deutschlands bekanntestes Bordell, das Artemis, dürfen bis heute keine Frauen betreten – außer sie arbeiten dort. Man befürchtet, sonst zu viele Familienväter, Ehemänner und Nachbarn zu diskreditieren. Das verstößt einerseits gegen das Grundgesetz und zeigt andererseits, wie weit wir von einer aufgeklärten Gesellschaft entfernt sind.

Diejenigen, die Sex als etwas Schönes empfinden, die Erotik mit Stil verbinden, fragen sich: “Wieso gibt es keinen Mittelweg zwischen Extrem-Porno und Tea Party-Konventionen?“ Warum wird Erotik im Deutschland des 21. Jahrhunderts immer noch behandelt wie eine verbotene Droge? Überall sieht man Sex, aber normal darüber sprechen darf man nicht.

Freie Marktwirtschaft oder Zensur?

Der weltgrößte Buchhändler, Amazon, hat es sich zur Regel gemacht, erotische Bücher nicht in den top 10 Listen erscheinen zu lassen. Es könnten sonst zu viele davon als Bestseller erkennbar sein und den guten Ruf von Amazon beschädigen. Das hindert das Unternehmen aber nicht daran, insgesamt 27.567 Bücher mit erotischem Inhalt anzubieten. Aber eben unter dem digitalen Ladentisch. Apple geht sogar noch einen Schritt weiter: Hier werden Bücher, deren Cover weibliche Brustwarzen erkennen lassen, aus dem Programm genommen. Seien es moderne Erotika oder Lyrik-Klassiker. Weltbild hat(da das Unternehmen der katholischen Kirche gehört) sämtliche erotische Bücher aus dem Sortiment verbannt. Außer Sadomaso-Weltbestseller Shades Of Greynatürlich. Denn das Geschäft konnte man sich nicht entgehen lassen.

Noch mehr Beispiele? Google untersagt die Buchung von google ad-words für Unternehmen, die Erotik anbieten. Dabei macht es keinen Unterschied, ob Sie ein Bordell sind oder ein lyrisches Erotikportal. 30 Jahre nach der sexuellen Revolution sickert in Deutschland die prüde amerikanische Verklemmungskultur durch alle Ritzen der Gesellschaft.

Ein Schritt zurück?

Wir gehen wieder rückwärts, dorthin, wo wir schon mal waren: Frauen sind immer geileSexobjekte, nackte Brüste in TV, Magazinen und inzwischen vor allem im Internet- gleichzeitig wird über Sexualität und Erotik nicht wirklich offen gesprochen. Sexwitze ja, erwachsene Gespräche nein. Es ist eine unaufgeklärte und pubertäre Einstellung, die in den USA dazu führt, dass mehr junge Frauen in der kalifornischen Pornoindustriearbeiten als in ganz Europa, aber Janet Jacksons Nippel einen Weltskandalverursachen. Wir haben lange Jahre dafür gekämpft, wie Erwachsene mit unserer Sexualität offen umgehen zu können.

Wir sollten nicht zulassen, dass durch die Umwege amerikanischer Unternehmen und vermeintlich „gutbürgerlicher“ Kreise Deutschland wieder auf Pubertätsniveau zurückfällt.

Dieser Artikel ist von unserem Gastautor Sascha Wolf, Verlagsleiter des erotischen E-book-Verlages www.giadas.de

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Bildquelle: © gijones – Fotolia.com

  1. Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Die Medienwelt tut dazu ihr Übriges, in dem sie alles zum SKANDAL stilisiert. Brüderles Anmache zum Sexismus aufzubauschen ist das beste Beispiel. Dabei sind die Frauen von heute doch selbstsicher genug, um damit umzugehen. Henry Kissinger war seinerzeit als aktiver Swinger bekannt und keinen hats gestört. Aber heute: da kommen in den TV Magazinen erst Beiträge über Brustvergrößerungen als das normalste der Welt, mit ordentlich Brustbildern dazu. Und eine Tag später wird ein verrutschter Promischlüpfer zur großen Peinlichkeit gemacht. …

  2. Daß Frauen nicht ins Bordell dürfen, hat einen einfachen und guten Grund. Als Kundinnen kommen sie nicht hin, sondern zum Gaffen.
    Außerdem neigen dazu, sich oft abfällig und beleidigend über Huren zu äußern wie ich regelmäßig beoabachten kann, wenn ich abends in der Oranienburger mit Freunden vorbeikomme. Während Männer interessiert und freundlich hinsehen oder peinlich den Kopf senken, kommentieren viele Frauen vernehmlich das Aussehen der Huren oder machen abfällige Bemerkungen.
    Kurzum, es geht beim Frauenverbot im Bordell (ebenso wie in der Hamburger Herbertstraße sowie gewissen Straßen in Amsterdam) um Frauenschutz. Denn auch die Frauen, die da arbeiten, haben ein Recht auf Schutz.
    Hättest Du ein bißchen nachgedacht, wäre Dir das auch vielleicht auch aufgefallen.

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