Was Sonne undein hübscher Kellner so alles auslösen können… Ich gebe meinem Cappucino nocheinen Löffel Zucker und sehe zu, wie die Kristalle im Schaum versinken. An derTheke poliert er immer noch die Gläser. Er sieht nicht herüber, aber das musser auch nicht – die strategisch verteilten Spiegel verschaffen ihm ebenso einenÜberblick wie mir. Ich kann die hartnäckige blonde Strähne sehen, die immerüber seine Stirn rutscht. Und dieses nette Hinterteil, klein und fest – undsehr beweglich.
Anscheinend habe ich leicht geseufzt, denn die Damen am Nebentisch werfen mireinen amüsierten Blick zu. Entweder haben die beiden bemerkt, dass ich denKellner beobachte – oder sie müssen denken, ich sei versetzt worden. Wo ichdoch so alleine am Cafétisch sitze. Einsam ist mir allerdings nicht zumute, imGegenteil, mir ist es nicht einsam genug.
Im Spiegel gegenüber kann ich sehen, wie er langsam und konzentriert kleinerunde Amarettokekse in eine Glaskugel füllt. Meine Hände wollen wandern, überseine gebräunte Haut, durch die störrischen Haare und ganz sanft an seinem Halsentlang. Sie wollen mit den Nägeln unter dem Hemd ganz leicht über seine Seitefahren, bis er eine Gänsehaut bekommt – und wenn sie das nicht dürfen, dannwollen sie wenigstens über meine eigenen Schenkel fahren dürfen, höher, bisdahin, wo es sehnsüchtig kribbelt.
Da das aber kein angemessenes Benehmen für eine junge Dame mitten in einemStrassencafé ist, zügele ich mich mit einem züchtigen Übereinanderlegen derBeine. Was mich nicht ruhiger stimmt, aber vielleicht das Polster rettet. Ichschliesse die Augen und zwinge meine Finger um die Cappucino-Tasse. Sie hattendie glatte Rundung der Pfeffermühle umklammert, und das ist jetzt zuviel fürmich.
Ihn sehe ich trotzdem noch, auch mit geschlossenen Augen. Wenn ich mich nurrichtig konzentriere, dann werde ich ihn auch spüren. Er wird mir die Haare ausdem Gesicht wischen und mich in den Hals
beissen, ganz leicht, in die vernachlässigte kleine Kuhle vor demSchlüsselbein. Ich werde die Nase an seiner Hand reiben wie ein Kätzchen undmit einer warmen Zunge durch die Innenfläche seiner Hand züngeln. Wenn er dannleise stöhnt, werde ich von seinem Schoss rutschen, um unter dem Tischtuch zuverschwinden und …
„Willst Du noch was trinken?“ Die dunkelblauen Augen lachen sehr frech und dieälteren Damen am Nebentisch mustern mich gierig. Wenn ich so aufgelöst aussehe,wie ich mich fühle, ist das auch kein Wunder. Ich bin hart gelandet und nochnicht ganz wach. Nur so ist es zu erklären, dass ich deutlich hörbar zu ihmsage „Ich hatte gerade einen erotischen Tagtraum … mit Dir““ DerNebentisch verstummt.
Er nimmt das ganz gelassen hin. „Und – war ich gut?“ Einunverschämtes Lachen in meiner Kehle steigt immer höher. Ich kann nur nickenund versuchen, ernst auszusehen. „Dann sollten wir das vielleicht mal inder Realität ausprobieren“, meint er locker und schreibt seineTelefonnummer auf den Quittungsblock.
„Ich muss bis Neun arbeiten. Ruf einfach an. Der Cappucino geht aufsHaus.“
Er legt den Zettel vor mich hin. Die halbleere Tasse wird entsorgt, der garnicht dreckige Aschenbecher geleert und er lächelt mich von der Theke ausfreundlich an. Ich nicke ihm zum Abschied zu, greife meine Jacke und flüchte. Vorbei an den beiden älteren Damen, denen der Mundoffensteht. Es ist gar nicht einfach, nicht laut loszulachen, aber ich möchteerst draussen sein. Ich frage mich, wie ich es bis nachher ohne ihn aushaltensoll.
Auf der Strasse, in der Sonne zerknülle ich den Zettel mit unsererTelefonnummer.
(Carola Heine, Juli 1997, neu überarbeitet April 1998)