Nomen est Omen – der Name ist Programm, dieses lateinische Sprichwort trifft gar zu häufig auch im Pflanzenreich zu. So möchte ich Ihnen nun die gefährliche Verführerin – Atropa belladonna – vorstellen. Belladonna kommt aus dem Italienischen und bedeutet „schöne Frau“. Atropa dagegen leitet sich von der griechischen Schicksalsgöttin Atropos ab, die Unerbittliche, die den Lebensfaden durchschneidet. In Mitteleuropa kennen wir diese Pflanze als Tollkirsche. Unsere Vorfahren nannten sie darüber hinaus Hexenbeere, Höllenkraut, Irrbeere, Teufelskirsche, Rasewurz, Wutbeere usw.
Verweilen wir ein wenig bei ihrer Verführungskraft. Sie gehört zu den wichtigsten Zauber-, Heil-, Rausch- und Liebespflanzen Mitteleuropas. Sie gilt noch heute in richtiger Dosierung als wirksames Aphrodisiakum. Es ranken sich zahlreiche Mythen und Geschichten um diese Liebespflanze. Fest steht, dass sich manche Frauen z.B. in der Renaissance mit Wasser verdünnten Tollkirschensaft in die Augen träufelten, um die Pupillen weit werden zu lassen und den Augen Glanz und Feuer zu verleihen. Das in ihr enthaltene Atropin bewirkt eine nachhaltige Pupillenvergrößerung. Die Tollkirsche war Ingredienz für Liebestränke und Hexensalben seit frühesten Zeiten. Schon die Germanen fügten sie unter anderem dem Göttertrank Met zu. Die Legende erzählt von den thessalischen Hexen, die aus den Wurzeln dieser heimischen Pflanze mit Wein einen enorm wirksamen Liebestrank zubereiten konnten. Die Rumänen der Bukowina brauten einen Trank aus Tollkirschen, der die Liebe einer bestimmten Person erwecken sollte. Selbst in der marokkanischen Volksmedizin wurde gesüßter Tee aus getrockneten Beeren der Tollkirsche als Tonikum für Geist und Potenz empfohlen. Es wird berichtet, dass der Genuss von Tollkirschen oder verdünntem Tollkirschensaft erotisierend auf Frauen wirkt, stärker als auf Männer. Interessanterweise wird sie immer wieder als wichtiges Aphrodisiaka mit psychoaktiven, Halluzinationen erzeugenden, sexuell stimulierenden und psychedelischen Einfluss beschrieben. Dazu werden die frischen Beeren gegessen, der Saft getrunken oder die Blätter und Beeren geraucht. Es gibt einige Salbenrezepte, die u.a. mit Tollkirsche versetzt sind und in die Sexualorgane einmassiert werden.
Ich komme nicht umhin, ihre Gefährlichkeit zu beschreiben. Obwohl unsere Ahnen vermutlich die Dosierungen gut beherrschten, kam es bei deren Einnahme immer wieder zu schrecklichen oder tödlich endenden Vergiftungen, denn leider sind alle Pflanzenteile giftig. Das oberirdische Kraut samt Blüten und Früchte beinhaltet Tropanalkaloide, vor allem Hyoscyamin, etwas Scopolamin und weitere Pflanzenstoffe. Dabei ist das Hyoscyamin weniger gefährlich als das Atropin. Das entsteht zunehmend während der Trocknung und Aufarbeitung. Atropin ist eng mit dem Kokain verwandt, allerdings um ein Vielfaches toxischer. Die Wurzel hat insgesamt einen höheren Alkaloidgehalt und weist neben Hyoscyamin Cuskhygrin auf. Die Vergiftungserscheinungen lesen sich wie folgt: weite Pupillen, glänzende Augen, Trockenheit im Mund, gerötete Haut, Erregungszustände, die sich bis zu Anfällen von Tobsucht und Krämpfen steigern können, nach deren Abklingen folgt zunehmend narkoseartige Lähmung, schließlich Tod durch Atemlähmung. Sie sehen schon, das klingt wirklich nach Atropos, der Unerbittlichen. Während der Hexenverfolgungen des Mittelalters wurde die Tollkirsche benutzt, um belastende Aussagen zu erpressen, da die Erregungszustände und Halluzinationen häufig erotisch bis sexuell gefärbt waren.
Heutige Versuche lassen auf keine sanfte Liebespflanze oder berauschenden Zeitvertreib schließen. Bereits 1 bis 2 Beeren bewirken nach etwa 30 min Wahrnehmungsveränderungen. 5 bis 10 Früchte gelten als halluzinogen und mehr können bereits lebensbedrohlich oder gar tödlich sein. Meistens werden die Wirkungen als unangenehm erfahren. Herz und Kreislauf werden belastet, die Schleimhäute ausgetrocknet, das Gesicht rötet sich und extreme Pupillenerweiterung tritt auf (ich konnte über 24 h nicht lesen und schreiben). Die Visionen und Halluzinationen werden selten als angenehm geschildert. Es überwiegen dunkle, dämonische und Angst auslösende Bilder. Moers, bekannt als Comic-Zeichner, Illustrator und Autor, fühlte sich wie ein Hauptdarsteller in einem Hieronymus-Bosch-Gemälde. Vielleicht sind uns heutigen Liebespflanzen-Anwendern Verständnis und Mischungsverhältnisse verloren gegangen, möglicherweise ticken wir anders als unsere Vorfahren. Ein wichtiges und beliebtes Aphrodisiakum ist die gefährliche Verführerin vergangener Zeit kaum noch.
Viel Liebesfreude wünscht Ihre Kristin Peters
Beim nächsten Mal: Rot mit weißen Punkten
Fotos: Kristin Peters