„Bei Frauen ist es Selbstbefriedigung, bei Männern ist es Ersatzbefriedigung“, sagte Prof. Dr. Ulrich Clement bei den Lindauer Psychotherapiewochen 2014. Männer onanieren häufiger als Frauen, aber sie scheinen diesem Tun weit weniger Wertschätzung entgegen zu bringen. Ist dies nun typisch männlich oder doch eher Ausdruck einer weit verbreiteten Verletzung männlicher Gefühlswelten, die sich in männlicher Unfähigkeit zur Selbstliebe äußert?
Das Tabu Selbstbefriedigung
Volker Elis Pilgrim hat bereits in den siebziger Jahren ein Manifest zur Befreiung vom Tabu der Selbstbefriedigung geschrieben, aber von echter allgemeiner Wertschätzung ist Solosex immer noch weit entfernt, nicht nur bei Männern. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass die meisten auf die Frage, wann sie zum letzten Mal Sex hatten, antworten: Vor einer Woche, vor einem Monat oder vor einem Jahr – auch wenn sie gestern noch Sex mit sich selbst hatten. Richtiger Sex ist Sex mit einem Partner. Selbstbefriedigung zählt nicht, Ersatzbefriedigung schon gar nicht.
Muss das so sein? Viele Facetten sexuellen Reichtums könnten Männer mit sich selbst erforschen: Das Surfen auf der Welle vor oder im Orgasmus, das Wechselspiel von zielgerichteter Geilheit und Loslassen, das Erforschen analer Lust, den Einsatz von sexuellen Spielzeugen bis hin zum Genuss inspirierender Pornos, die mehr bieten als ödes, liebloses Einerlei. Sexuelle Selbstliebe kann sogar eine Form von Meditation sein. „Orgasmic Yoga“ nennen es manche. Kann und darf Sex mit uns selbst tatsächlich so facettenreich und befriedigend sein?
Die meisten Männer onanieren regelmäßig, da sind sich Sexualwissenschaftler einig. Die Art, wie sie das tun, prägt naheliegender Weise auch das sexuelle Selbstbewusstsein. Masturbieren Männer sich zu erotischen Bittstellern, zu unsensiblen Fummlern oder gar zu Vergewaltigern? Wie kommen wir aus der Schmuddelecke heraus, wenn wir uns mit uns selbst beschäftigen?
Ein Symbol männlicher Befindlichkeit sind Sexshops. Die Shops für Männer sind immer noch meist düster und trostlos, kaum besser als öffentliche Bedürfnisanstalten. Sexshops für Frauen – soweit es sie überhaupt gibt – befinden sich in besten City-Lagen und präsentieren sich wie Tempel modernen Lifestyles. Ähnlich verhält es sich bei Pornos. Angeblich sind Männer diesbezüglich gnadenlos anspruchslos, Frauen muss da schon mehr geboten werden. Woran liegt das? Daran, dass Männer primitiver sind? Oder weil wir uns insgeheim zutiefst unserer Sexualität schämen?
Experiment Partnersex
Und noch ein Gedanke kann uns den Genuss verderben. Müssen wir uns Sorgen machen, dass Sex mit einer Partnerin uninteressant wird, wenn wir uns mit uns selbst königlich vergnügen? Kaum. Es ist nicht bekannt, dass ungern gemeinsam mit anderen isst, wer auch gerne für sich alleine kocht.
Beim Partnersex begegnen wir der Herausforderung, unsere erotischen Wünsche und Sehnsüchte mit denen eines möglicherweise ganz anders gepolten Menschen zu konfrontieren, abzustimmen und zu teilen. Es kommt ganz auf die Gestaltung sexueller Selbstliebe an, ob sie uns dafür qualifiziert und vorbereitet oder eher abstumpft. Es kommt auch darauf an, ob wir immer unbedingt abspritzen müssen, denn auch das kann abstumpfen. Mit Neugier und Forschergeist können wir das erotisch-sexuelle Wechselspiel der Polaritäten in uns selbst erfahren. Wir können uns zielstrebig stimulieren und dann auch wieder loslassen, den Wellen der Erregung lauschen, manchmal sogar besonders intensiv, wenn wir nicht gekommen sind. Das erhöht die Chance, dieses lustvolle Spiel auch mit einer Partnerin genießen zu können. Und nicht zuletzt: Solosex kann Ausdruck echter Liebe für uns selbst sein. Dürfen wir uns das „antun“? Auf wessen Erlaubnis warten wir?
Lustvoll Mann sein: Expeditionen ins Reich männlicher Sexualität
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Dieser Text stammt – etwas verändert – aus dem Buch von Saleem Matthias Riek und Rainer Salm „Lustvoll Mann sein – Expeditionen ins Reich männlicher Sexualität“, JKamphausen Verlag März 2015, 18,95 €
Hier zur Rezension von erosa.de: www.erosa.de/lustvoll-mannsein-buchrezension
Mehr Infos zum Buch und zu begleitenden Umfragen: www.lustvoll-mannsein.de
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