Buchrezension: more than nude (Aktbildband)

Ich habe selten so lange über eine Rezension nachgedacht wie über die des vorliegenden Bildbandes more than nude des mehrfach ausgezeichneten Fotografen Kristian Liebrand. Zwischendurch dachte ich sogar, dass ich das Schreiben lieber ganz sein lasse. Denn es fällt mir ganz persönlich schwer, dem Fotografen und Künstler Liebrand gerecht zu werden. Warum? Weil mich das Sujet Aktfotografie seit langem eher aufregt als anregt. Um doch in meiner Kritik gerecht zu bleiben, habe ich die Rezension in zwei Teile getrennt.

Der Glanz

Der Bildband präsentiert in einem großen quadratischen Format ca. 120 Aktfotografien. Der Klappentext weist daraufhin, dass nicht die Nacktheit im Vordergrund steht, sondern die Bildkomposition und das wird auch eingelöst. Bis auf den Klappentext ist leider nicht über den Fotografen, die Entstehung der Bilder oder seinen Anspruch zu erfahren. Der Fotograf tritt hier elegant hinter sein Werk zurück, aber mich hätten doch ein paar Informationen und biografische Angaben interessiert.

Gezeigt werden hochwertige Schwarz-Weiß und Farbaufnahmen,die einen Querschnitt der Arbeit von Liebrand präsentieren. Bis auf wenige Aufnahmen entstanden die Fotos im Studio und sind perfekt inszeniert und ausgeleuchtet. Die ausschließlich jungen weiblichen Modelle haben makellose Körper, die dem gängigen Schönheitsideal entsprechen. Hinter jedem Bild steckt eine Idee, die mit viel Liebe zum Detail umgesetzt wurde: Mal geht es um eine ungewöhnliche Pose, einen faszinierenden Bildausschnitt oder eine ungewöhnliche Situation. Beim Durchblättern wird sofort klar: Hier ist ein Meisterfotograf am Werk.

Für alle Liebhaber der künstlerischen und erotischen Aktfotografie ist „more than nude“ ein schönes Sammlerstück, das seinen Preis mehr als wert ist.

Das Elend

Im Bereich Aktfotografie ist ja seit den 20ern des letzten Jahrhunderts eigentlich alles bereits gemacht worden. Der Körper ist längst kein Geheimnis mehr und die Zurschaustellung von Nacktheit allein berührt uns nicht mehr. Zu viel gleichförmige Inszenierungen verstopfen die Medien: Die Nackte im Fischernetz, die Nackte vor einer geschlossenen Jalousie, die Nackte unter fallenden Wassertropfen, …. Alles tausendmal gesehen.

Berühren können mich nur noch Bilder, die eine Geschichte erzählen und denen es eventuell gelingt,in einem sehr seltenen Fall einen Moment der Intimität vermitteln. Und vielleicht einen tiefen wahren Einblick in die menschliche Existenz. Dabei geht es nie um Perfektion. Dazu benötigt man kein Highend-Equipment, keine perfekte Ausleuchtung, keine perfekten Modelle von Agenturen. Sondern viel Geduld und Einfühlungsvermögen.

Aber viele Fotografen, die sich mit dem Sujet Aktbeschäftigen, geht es leider nur um Technik. Und es scheint fast so, als würden sie die Technik einsetzen, um sich vor der Nacktheit in ihrer ganzen Verletzlichkeit und damit existenziellen Härte zu beschützen. Deshalb produzieren und reproduzieren sie unter Einhaltung des rationalisierenden Abstandes zum Menschen, den sie darstellen nur eines: Langeweile. Zielgruppen dieser kalten Fotografie sind dann wieder nur andere Fotografen, die Fotomagazine lesen und sich an dem Erreichen der technischen Perfektion abarbeiten.

„More than nude“ verspricht der Bildband von Kristian Liebrand. Das Mehr konnte ich bei aller Perfektion leider auch hier nicht entdecken.

Kristian Liebrand, gebundene Ausgabe 120 Seiten, 29,95 Euro
www.more-than-nude.com