Im ersten Teil der Mannsicht zum Mannsein konnten wir abschließend lernen: Mann und Frau werden in ihrem Tun von ihren Genen gelenkt. Der Mann, der seine Softskills aktiviert, widersetzt sich eine Natur. Vielmehr ist der „Macho“ die natürliche Anlage im Mann. Alles Bullshit, sage ich. Und hier lest ihr wieso.
Zum einen, weil wir schon festgestellt haben, dass das traditionelle Konzept Mann in der heutigen Gesellschaft nicht mehr flächendeckend funktioniert und zum anderen, weil diese essentialistische Sicht, welche geschlechtertypische Bedürfnisse und Handlungsmuster allein auf eine genetische Verankerung zurückführt ebenfalls alt und überholt ist. Denn was dabei einfach gnadenlos unterschlagen wird, ist, dass Frauen und Männer sich nicht nur auf der biologischen Ebene mehr ähneln als gerne behauptet wird, sondern auch die Kategorien männlich und weiblich gesellschaftlich konstruiert sind. Nicht die Biologie legt fest, was typisch männlich und typisch weiblich ist, sondern wir. Die Prägung geht schon in der Kindheit los, denn wie oft wird einem Kind selbst heute noch etwas verboten mit der Begründung: „Das macht ein Mädchen oder Junge doch nicht.“
„Sexismus getarnt als Wissenschaft“, nennt der Soziologe Michael Kimmel das. Es wird sich der Biologie bedient, um etwas, was nicht mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmt, abzuwerten. Das funktioniert in Richtung der Frauen – ein populäres Beispiel ist da die Hysterie – es funktioniert aber auch in Richtung des Mannes.
Mit der Emanzipation ist zunehmend die gesellschaftliche Konstruktion zerbröselt, wie eine Frau zu sein hat, und damit auch das Weltbild des Mannes. Da gibt es jetzt nicht mehr nur das Bild des starken Ernährers und Beschützers – nein, der Mann kann und darf inzwischen jede beliebige andere Rolle einnehmen, die er will. Das ist einfach die Entwicklung der Zeit – ob es nun manchen Frauen und Männern passt oder nicht.
Und diese Entwicklung ist gut, sie erzeugt Vielfalt. Gleichzeitig werden traditionelle Rollen- und Beziehungskonstellationen nicht automatisch verschwinden. Die wird es auch weiterhin geben, solange es Menschen gibt, die danach leben wollen.
Einfluss von Medien und Co.
Tja, eine Vision des „Neuen Mannes“ oder besser gesagt der neuen Männer ist schonmal da. Rein theoretisch hat jeder Mann inzwischen die Möglichkeit, sich selbst seine eigene Männlichkeit zu suchen und in seine eigene Rolle zu schlüpfen. Aber nicht jeder Mann, der sich aufmacht, sich selbst zu finden, kommt auch wirklich bei sich an. Denn in Zeiten der Orientierungslosigkeit ist der Mensch besonders anfällig für Einflüsse von außen. So auch der Mann, wenn er versucht herauszufinden, was Männlichkeit für ihn eigentlich bedeutet. Dieser Akt ist nämlich kein leichter, weil er ein hohes Maß an Selbstreflexion voraussetzt. Und das ist etwas, was der Mensch überhaupt nicht gerne tut. Lieber macht er alles mögliche, um nur nicht über sich selbst nachdenken zu müssen.
Und genau diesen Umstand machen sich die Medien zu nutze, welche neben Frauen und älteren Rollenvorbildern ebenfalls großen Einfluss auf die Entwicklung des (neuen) Mannes ausüben.
Es ist nämlich einfacher auf Indentifikationsangebote einzugehen, die von außen an einen herangetragen werden, als sich ernsthaft mit sich selbst zu beschäftigen. Und da herrscht eine wahre Schlacht um die Deutungshoheit was denn überhaupt männlich ist. Nicht zuletzt, weil sich damit auch verdammt gut verdammt viel Geld verdienen lässt.
Das erschreckende dabei ist, dass die Rollenbilder, welche im Mainstream von den Medien und Co. angeboten werden, sich keinen Fingerbreit weiterbewegt haben. Das zeigt schon ein Blick in die Zeitschriftenwelt, welche sich für die Männer ähnlich plakativ wie für die Frauen gestaltet. Da haben wir zum einen die Fitness – Lifestyle – Zeitschriften wie Men’s Health, zum anderen jede Menge Auto- und Sportzeitschriften. Und was lernt der Mann darin? Er lernt darin, dass er Autos lieben und Fleisch essen soll. Er erfährt, wie er am besten Frauen abschleppt und bekommt obendrauf noch ein paar Sextipps für den nachfolgenden One-Night-Stand. Den bekommt er aber nur, wenn er vorher ins Fitnessstudio gerannt ist und sich den „perfekten Sixpack in sechs Wochen“ antrainiert hat.
Ach, und eine weitere wichtige Rolle spielt natürlich das liebe Geld – wie schlägt man bei der nächsten Gehaltsverhandlung möglichst viel Geld raus usw.
Ganz aktuell auch wieder der Trend zum Bart – fein säuberlich vom Barbier frisiert natürlich. Und dann ist da auch noch die Geschichte mit dem Penis – aber dazu ein ander mal mehr.
Kurz zusammengefasst: Willst du ein Mann sein, musst du ein Sixpack haben und in deinem tollen Schlitten Frauen abschleppen können, mit denen du dann durch die Gegend cruist, während du dein bärtiges Gesicht in den Fahrtwind hältst.
Klingt irgendwie nach einem ziemlich bekannten Rollenbild, oder? Man wäre fast versucht zu behaupten, das darin propagierte Männlichkeitsbild würde sich kaum von dem bereits beschriebenen „traditionellen Bild“ unterscheiden – höchstens darin, dass es oft noch egoistischer ist. Spielt bei dem traditionellen Bild immerhin die Familie und deren Versorgung noch eine große Rolle, wird heute dieser klassische Männlichkeitstypus mit dem unbedingten Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit verbunden, was übersetzt nichts anderes heißt als: „Gehe bloß keine Verbindlichkeiten ein, übernimm keine Verantwortung.“
Etwas pervers ist es dabei auch, dass das auch noch als individueller Lifestyle verkauft wird. „Sei individuell, sei du selbst!“ – aber bitte sei dabei genau so, wie wir es dir sagen. So lassen sich schließlich auch besser Produkte an den Mann bringen. Auch kann es vorkommen, dass Männermagazine sexistisches Verhalten bei Männern fördern.
Dass dabei Männer gleichzeitig in ihrem Selbstbild im Bezug auf ihr Aussehen und ihren Körper ähnlich stark unter Druck gesetzt werden wie die Frauen – auch darüber reden wir ein anderes Mal.
Mehr „Ich“ in der Männlichkeit – Rollenbilder beiseite schieben
Die Persönlichkeit eines Menschen entwickelt sich immer in der Wechselwirkung mit seiner Umgebung. Das können die Eltern sein, die Freunde, der Partner oder die Partnerin, die Arbeit oder ganz allgemein die Gesellschaft – wie gehen wir mit ihr um, wie geht sie mit mir um. Wir kommunizieren verbal und non-verbal miteinander, wir nehmen wahr, werten und bewerten – so festigt sich Stück für Stück unsere Persönlichkeit. Ebenso nehmen viele Faktoren Einfluss darauf, was für einen persönlich männlich und weiblich bedeutet, meist beginnend mit der Erziehung bis hin zur Prägung durch Medien.
Ich glaube, die Entwicklung hin zur eigenen, individuellen Männlichkeit besteht dabei zu einem Teil darin, was wir aus uns selbst heraus wollen und zum anderen, was für Erwartungen an den Mann von außen herangetragen wird.
Damit wir es schaffen, eine wirklich vielfältige Männlichkeit zu entfalten, müssen wir Männer dem „Ich-Anteil“ an dieser Entwicklung stärker nachgehen und aufhören, irgendwelchen propagierten Idealen hinterherzuhecheln. Also nicht mehr die Erwartungen von Außen, sondern uns selber mehr beachten. Schieben wir die Rollenbilder beiseite. Besinnen wir uns doch einfach mal ganz auf uns selbst. Stellen wir uns die Fragen: Was macht mir persönlich Spaß? Was macht mich glücklich? Was will ich überhaupt? Was kann ich?
Du willst dich als Mann um Kinder und Haushalt kümmern? Dann tu das. Du fährst gerne schnelle Autos? Dann ist das auch in Ordnung. Du willst gerne nach ganz traditionellem Vorbild eine Familie gründen? Wird schwierig, aber wenn du da draußen eine Frau findest, die mit Herz uns Seele Hausfrau ist und sich um Haushalt und Kinder kümmern will, dann ist das auch okay.
Substantiell ist dabei die Frage nach der Motivation. Warum willst du als Mann so sein? Ist es eine intrinsische Motivation – also die Motivation aus einem selbst heraus? Oder ist es eine extrinsische Motivation – also der Einfluss von außen, der dich dazu veranlasst, so zu sein?
Sicher, in der „feinen“ Ausprägung orientiert man sich dann daran, was zum Beispiel die Partnerin oder der Partner für Wünsche und Vorstellungen hat, aber die grundlegende Vorstellung von Männlichkeit sollte von einem selbst kommen.
Das schöne an der neuen Offenheit ist doch, dass es eine unendliche Vielfalt von Rollen- und Beziehungskonstellationen geben kann. Da die Grenzen zwischen typisch männlich und typisch weiblich sich immer mehr auflösen, sollten wir uns doch auch in der persönlichen Entwicklung und in Beziehungen im Denken von diesen Kategorien lösen. Strukturieren wir unsere Beziehung doch nicht danach, was gesellschaftlich eintradierte Rollenbilder vorschreiben, sondern danach, was die eigenen Bedürfnisse fordern und Fähigkeiten leisten können. Denn es gibt, oh Wunder, auch Frauen die gerne handwerklich tätig sind und Männer die gerne kochen.
Es muss jetzt allerdings nicht jede Aufgabe gleichberechtigt geteilt werden. Wenn angefangen wird zu zählen, wer wie oft den Müll rausgebracht hat und den Staubsauger geschwungen hat, führt das mit Garantie zu Konflikten. Es kann nach wie vor eine klare Struktur und Aufgabenteilung und auch Rollenbilder in der Beziehung geben, sollte es sogar – doch bitte nicht gesellschaftlich aufdiktiert, sondern im inneren Konsens „erarbeitet“. Das gilt übrigens nicht nur für eine Mann-Frau-Beziehung, sondern für jede mögliche und unmögliche Beziehungskonstellation.
Versteht mich nich falsch – ich will keineswegs alles gleichmachen. Es gibt Männer und es gibt Frauen und es gibt mittlerweile auch eine ganze Palette an Abstufungen dazwischen. Das ist gut so, das braucht es.
Bei der ganzen Diskussion geht es im Prinzip nur darum, dass das körperliche Geschlecht nicht gleichzeitig zu einem vorgeschriebenen Verhaltensmuster verpflichtet, sondern jeder frei wählen dürfen sollte, wie männlich oder wie weiblich er oder sie sein möchte und was er oder sie darunter versteht. Ohne aus irgendeiner Gemeinschaft deshalb ausgeschlossen zu werden.
Und ich? Ich bin während meines Studiums zweimal in Elternzeit gegangen. Ich habe die letzten sechs Wochen nicht an meinem Sixpack gearbeitet, sondern wenig mehr gemacht als mich der Eingewöhnung meiner zweiten Tochter in die Kinderkrippe gewidmet, während meine Frau arbeiten geht und genug Geld für uns beide verdient. Fühl ich mich deshalb weniger männlich und von meiner Frau unterdrück? Nein, kein Stück.
Foto By Caleb George Morris