Fickt solange es flutscht

„Hilfe, ich wachse zu! Kann das sein?« Mit einem Blick aus Hoffnung und Verzweiflung lechze ich nach einer erlösenden Antwort. Derweil sitzt sie gelassen zwischen meinen weit geöffneten Schenkeln und begutachtet mein vom Abseits bedrohtes Wunderwerk der Schöpfung. »Kann sein«, antwortet meine anthroposophische Frauenärztin, die etwa in meinem Alter ist. »Viele Frauen sprechen nicht darüber. Sex tut auf einmal höllisch weh. Die Schleimhaut bildet sich zurück. Und tatsächlich wird die Scheide kleiner. Manche Frauen hören deswegen ganz mit dem Sex auf. Einige können sich tatsächlich nie mehr vereinigen. Haben Sie es schon mit Gleitgel probiert?« Gleitgel? Gleitgel ist seit vielen Jahren mein täglich’ Brot.

Es brennt wie Feuer

Bilder blitzen auf. Immer häufiger war es die letzten zwei Jahre passiert, dass ich beim schönsten, sanftesten und liebevollsten Sex abbrechen musste. Es brannte wie Feuer. Manchmal reichte schon ein Anklopfen an der Tür. Mit keinem Gleitgel der Welt gelang der gute Rutsch ins gelobte Land. Die körperliche Liebe wurde daraufhin immer noch vorsichtiger, bewusster, sanfter. Bis schließlich sogar die stille Anwesenheit des erigierten Penis ohne jegliche Bewegung mein Inneres zu verbrennen drohte. Blasenentzündungen häuften sich wie in den Honeymoon-Zeiten und machten meinen Unterleib zu einem flammenden Inferno. Angst kam auf, dass sich mein geliebtes Tor zur Lust für immer verschließen könnte. Deswegen bin ich schließlich zu Frau Salm gegangen. Ich wollte eigentlich hören, dass alles nur eine vorübergehende Erscheinung ist. Kein Grund zur Besorgnis.

»Das können Sie mir nicht antun! Ich bin Tantralehrerin. Es kann nicht sein, dass ich zuwachse. Es darf nicht sein!« Noch während die Worte verhallen, bohrt sich die Hiobsbotschaft schonungslos in alle meine Poren und Zellen hinein und übernimmt die Regie: Sirenen heulen auf. Der innere Notstand wird ausgerufen. Körper und Seele beben um die Wette. Aus heiterem Himmel eine Kriegserklärung ohne die geringste Vorahnung. Bombenalarm für ein lange gehegtes Selbstbild. Hilfe, ich werde ausgelöscht.

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Dieser Artikel erschien erstmalig unter dem Titel „Durch das Sieb gefallen“ in der Printausgabe „Sexualität & Identität“ des Magazins Connection Tantra. Wir danken dem Verlag für die Möglichkeit der Veröffentlichung!
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Wir alternden Frauen

»Aber …«, Tränen rinnen mir über das Gesicht. »… mein Mann ist vierzehn Jahre jünger als ich. Das geht doch nicht! Verstehen Sie?« Klar versteht sie. Ihr wissendes Gesicht verrät es. Wir sitzen doch im gleichen Boot. Wir alternden Frauen. Ein Bäcker, der kein Brot mehr backen kann, wird wohl seinen Laden schließen müssen. Was ist mit einer Tantralehrerin, die nicht mehr ficken kann? Welches Amt ist in diesem Fall für die Berufsunfähigkeitsrente zuständig? Oder zahlt etwa das Arbeitsamt? Was machen die anderen Tantralehrerinnen? Oder wachse nur ich zu? Warum um Gottes Willen hat mich denn keiner vor gewarnt?

Bilder älterer Frauen tauchen auf und grinsen. Etliche waren nach Vorträgen zu mir gekommen, um sich genau aus diesem Grund Rat bei mir zu holen, aus dem ich jetzt hier auf dem Gynäkologenstuhl sitze. Aber damals war es noch nicht so weit mit mir. Deshalb waren auch meine Empfehlungen wenig tauglich. O Gott, hätte ich doch mit ihnen mitfühlen können! Jetzt weiß ich, was die Uhr geschlagen hat. Der Zahn der Zeit hat mich also ins Sex-Aus katapultiert. Mich, die in den kühnsten Jugendjahren ihren festen Vorsatz lauthals verkündete, dass sie selbst der lebende Beweis dafür sein wird, dass Frauen bis ins hohe Greisinnenalter Spaß am Sex haben können.

Die Klugheit der Natur

Na ja, wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich gestehen, dass das Ausgemustertwerden schon vor einigen Jahren begonnen hat. Aber wer will es schon wahrhaben? Auf den Körper bezogene Komplimente ziehen sich klammheimlich ins Nirwana zurück, zunächst nur gelegentlich und unmerklich. Irgendwann gehört der Satz »Du hast den geilsten Arsch der Welt« einfach nicht mehr zu dir. Und sollte er aus Versehen doch noch einmal …, dann weißt du, es ist eine gut gemeinte Lüge und lächelst gequält zurück. Und auf einmal beginnt das geschulte Auge der älter werdenden Frau treffsicher alle noch so gut getarnten Männerblicke zu erhaschen.

Dem Gebot der Natur folgend heften sie sich bei jeder Gelegenheit an die prallen Formen junger Frauen. Selbst in meinen Seminaren rutschen bei Partnerwahl die älteren Frauensemester plötzlich in die Rubrik »schwer vermittelbar«. Der Strom der Männlichkeit wird einfach wieder und wieder zu den wenigen blutjungen Hübschen gerissen. Es ist logisch und sogar erklärbar, und ich erkläre es mir auch regelmäßig immer wieder selbst: Warum sollte die Natur hier einen Fehler machen? Sie lotst zielsicher die Männer und ihren Samen dorthin, wo Fortpflanzung möglich ist – zu den jungen, anmutigen, reizenden, verlockenden Schneewittchen. So weit, so gut. Das ist bereits verarbeitet und abgehakt.

Frauen über fünfzig

Doch nun wird einfach noch eins drauf gesetzt! Jetzt sind wir Frauen über fünfzig auch noch vom sexuellen Aussterben bedroht. Warum in aller Welt sollte sich ein Mann mit einer geschrumpften, vertrocknenden und schmerzverzerrten Yoni abmühen, wenn es bei Schneewittchen fließt und flutscht? Sigmund Freuds Stimme in mir konstatiert ganz ungeniert: »Tropfneid, meine Dame!« Hat die Natur erneut Recht? Ist es (für die Fortpflanzung) nicht sogar folgerichtig, wenn das Tor sich verschließt, sobald das Monatsblut versiegt? Warum sollte die Natur dort mit ihren Talenten wuchern, wo sie niemals im wahrsten Sinn des Wortes auf fruchtbaren Boden fallen?

Stattdessen macht sie eine klare Ansage: »Ab sofort geschlossen, hier geht es nicht weiter! Diese Frau ist fortan sexuell unter Verschluss. Mann, suche dein Glück auf leichteren Wegen! « Und sie stellt Umleitungsschilder auf, die zu Schneewittchen führen. Alle Stiefmütter fallen, ob sie es wollen oder nicht, gnadenlos durch das Sieb des sexuellen Begehrens. Dass die Stiefmutter böse wird und verbittert, ist doch kein Wunder. Das muss doch jetzt wirklich jeder einsehen. Schneewittchen lauert plötzlich überall und wächst an allen Ecken und Enden der Welt schneller nach, als man es vergiften könnte. Interessiert sich überhaupt noch einer für die Frauen auf dem sexuellen Abstellgleis, außer der Pharmaindustrie?

Der Zahn der Zeit

Ha, auch jedes noch so schöne Schneewittchen wird einmal zu einer bösen Stiefmutter. Der Zahn der Zeit malmt alles nieder. Kann mich so eine banale Wahrheit wirklich über den Verlust hinwegtrösten? Oder steckt in diesem Gedanken schon das Gift, das ich Schneewittchen entgegenschleudere? Anstatt ihm einfach wissend, weise und lächelnd, gelassen und tief in mir ruhend seine Vorzüge zu gönnen? Ich träume von meinen eigenen jungen Schneewittchenzeiten. Da habe ich mir immer mal wieder unverblümt und ganz nach Lust und Laune Männer älterer Frauen für ein Luststündchen ausgeliehen. Tränen rinnen über mein Stiefmuttergesicht und schmelzen den Tropfneid für ein paar Augenblicke weg. »Kann man die Scheide nicht einfach wieder dehnen und öffnen? Es gibt doch auch Analdehner!« Sie weiß, dass es nun fehl am Platz ist, falsche Erwartungen zu wecken. »Probieren können Sie es!« antwortet Frau Salm kurz angebunden. »Ansonsten alles bestens!« Sie entfernt ihr kühles Gynäkologenrohr und tastet noch da und dort.

Ob ein kleinerer Penis noch passen würde? Das Rohr hat doch auch nur ganz kurz gezwickt und ansonsten keinen Schmerz verursacht! Ich könnte Dildos in verschiedenen Größen »an«-probieren. Oder die billigere Variante nehmen, Zucchinis von der Marktfrau, zumindest die ganz dünnen. Was, wenn ich fündig werde? Wie sag’ ich’s meinem Mann? Oder gebe ich heimlich eine Anzeige auf: »Mann gesucht mit Penisdurchmesser von maximal eins Komma fünf Zentimeter? « Die Idee mit dem Vaginaldehner ist vielleicht doch die beste. Die merke ich mir. »Frauen, die Hormone einnehmen, haben diese Probleme nicht«, ergänzt Frau Salm mit sorgenvollem Gesicht. »Aber das kann ich Ihnen auf keinen Fall empfehlen. Das Brustkrebsrisiko steigert sich dadurch erheblich.«

Das Selbstbild von einst ist verblasst

Ich erinnere mich an Carola. Sie ist schon über sechzig und sieht von hinten aus wie eine knackige Mittdreißigerin. Sie schwingt souverän mit den Hüften und genießt die Verjüngung durch die Hormone und die Wirkung, die sie noch auf Männer hat, solange sie sich nicht umdreht. Tut sie es dann, so schrumpft auf einmal die Verheißung von hinten, wenn das Gesicht nicht mehr zum strammen Hintern passt. Oder Eva-Maria. Wie oft hat sie sich das welkende Gesicht flicken lassen, bis es nun zu einer grässlichen Maske geworden ist? Wenn man sich nicht erschrocken abwendet, ergreift einen das blanke Entsetzen und die rasende Verzweiflung, die Eva-Maria dazu getrieben haben müssen, ihr Gesicht zu entstellen, anstatt es rechtschaffen altern zu lassen. Ihr krampfhafter Versuch, sich an dem verblassenden Selbstbild festzuhalten, spiegelt sich nun bis zum bitteren Ende in ihrem vernarbt gestrafften Gesicht, wie ein Aufschrei einer Seele, die ins Nichts zu fallen droht.

»Es gibt ja noch andere Formen von Sexualität als die Vereinigung!«, ergänzt Frau Salm fachkundig. Wie? Erst hat man in jungen Jahren mühevoll den vaginalen Orgasmus gelernt, ihn gehegt und gepflegt, und nun soll man sich wieder auf die gute, alte Klitoris besinnen Jetzt wird mir klar, warum ich nie alt werden wollte. Nicht als Frau! Ewige Jugend, das möchten doch alle. Ich habe das Monatsblut so viele Jahre richtig festgehalten. Habe mich einfach geweigert, es loszulassen. Erst vor zwei Jahren war es dann so weit, da war ich bereit. Es war keine große Sache. Kein Hin und Her. Das Blut blieb weg, und das Vertrocknen begann.

Erleuchtung, wo bist du?

Was nun? Was will ich werden, wenn ich alt bin? Mich für wohl tätige Zwecke einsetzen? Das ist doch eine zeitgemäße, erprobte Möglichkeit für die, die durch das Sieb gefallen sind. Oder die vielen Bücher schreiben, die mir im Hals stecken? Wechseljahre-Vorbereitungskurse geben? Das Lichtsex-Zeitalter ausrufen? Es sollte einen Fachhandel für neue Identitäten geben. Einen Supermarkt für zerbrochene Egos mit Verkäufern, die darin geschult sind, zu erkennen, was sonst noch in einem steckt, und im Handumdrehen neue Identitäten hervorzaubern. Zum Anprobieren wie neue Schuhe. So sieht man gleich, was passt und was nicht. Für die ganz Mutigen, die allen Identitätsvorschlägen trotzen, könnte es im Obergeschoß einen Guru geben, der die Erleuchtungseignung überprüft und gegebenenfalls Sofortmaßnahmen einleitet. Wie kann ich diese Krise als Erleuchtungsmaterial nutzen? Wenn die Identität sich auflöst und nicht ruckzuck durch eine neue ersetzt wird, öffnet sich doch ein Tor zu einer anderen Wirklichkeit. Erleuchtung, wo bist du? Soll ich auch dieses Stroh noch zu Gold spinnen? Ach, ich arme Müllerstochter. Das kleine Rumpelstilzchen? Rettung in der Not! Sein Stängelchen würde vielleicht noch für mich passen …

»Hier habe ich eine Hormoncreme für Sie!« lächelt Frau Salm. »Ein wahrer Segen. Nein, da brauchen Sie wirklich keine Angst zu haben. Das hat überhaupt nichts mit Hormonersatztherapie zu tun. Sie tragen die Creme einfach zwischen ihren Schamlippen auf und bringen auch einen Zentimeter davon mit diesem Einführstab (er ist noch nicht einmal fingerdick – gottlob!) nach innen. Vielleicht zweimal die Woche. Dann baut sich ihre Schleimhaut wieder auf. Die Blasenentzündungen verschwinden, und ihre Scheide wird wieder saftiger und widerstandsfähiger! Die Creme wirkt nur lokal. Wenn überhaupt etwas davon ins Blut kommt, ist es eine verschwindend geringe Menge. Seien Sie wirklich unbesorgt. Ich bin anthroposophische Ärztin, und ich versichere Ihnen, das ist wirklich eine Errungenschaft der Medizin für uns Frauen!« »Und dann funktioniert auch der Sex wieder?« Hoffnung inmitten eines noch dampfenden Trümmerhaufens. »Vielleicht. Möglich ist es schon!« Ich atme tief durch und versuche, mich an diesen Strohhalm nicht fester zu klammern als es jetzt nötig ist. Immerhin. Ich gehe nicht mit leeren Händen nach Hause. Und übrigens: Das hätte ich ja ganz vergessen: Es gibt die sanfte Vereinigung. Die funktioniert ja schließlich bis zum Tod – oder nicht? Naja, vielleicht sollte man keiner Sache so ganz trauen. Ist ja schließlich schon einmal schief gegangen.

„Fickt, solange es flutscht«

Im Auto atme ich tief durch. Zum Glück kann ich auf erfahrungsreiche Schneewittchenjahre zurückschauen. Was aber ist mit all den Frauen, die das Ausleben ihrer Lust auf das Rentenalter verschoben haben? Und mit den vielen jungen Frauen, deren Säfte noch fließen, und die in ihren Blockaden und Abwehrmechanismen gefangen sind?

Am liebsten würde ich aufschreien und ihnen allen zurufen: »Fickt, solange es flutscht! Vorbei mit der Lust-Aufschieberitis! Weg mit den Spinnweben zwischen den Beinen! Wartet nicht länger auf den Märchenprinzen! Wer jung ist und keinen Sex hat, verstößt gegen das Leben! Wann, wenn nicht jetzt? Jetzt! Jetzt! Jetzt!« Ich fahre nach Hause. Neben mir auf dem Beifahrersitz liegt eine volle Tube Hoffnung. Eins ist klar: Ich bleibe am Ball. Schließlich leitet mich ein fester alter Vorsatz!

Zur Autorin: Regina Heckert, Jg. 1956, ist seit mehr als 25 Jahren Tantralehrerin. Sie hat die BeFree Tantraschule gegründet, ein Orgasmustraining für Frauen entwickelt, die Tantra Liebesschule Online und den Tantra Download aufgebaut: www.befree-tantra.de