„Du verstehst mich einfach nicht. Frauen lieben eben anders.“ Welcher Mann hat das nicht schon einmal gehört? Und welcher Mann ist dadurch nicht verunsichert? Der spezifische Unterschied der Geschlechter ist eine alte Sache. Jedes Jahrhundert hat so seine neu Definition; mal eine geistige, mal eine weltanschauliche, mal eine medizinische – und jetzt eben eine psychologische. Die Psyche einer Frei sei eine andere, ist die Devise, doch wie anders ist sie? Und ist sie nicht eher eine wohlfeile Abgrenzung der Frauen von den Männer, die eben einen Grund braucht, den kein Mann mehr hinterfragen darf: „Das ist eben so, was soll ich das erklären, Männer sind eben ganz anders!“
Wie anders sind Frauen denn nun wirklich? Und lieben Frauen anders als Männer?
„Liebst du mich so, wie ich dich liebe?“ – „Nein, ganz anders – so wie du es nicht verstehst“. Solche Wortspiele zerstören jede gemeinsame Beziehung. Frauen sind an der Kontinuität einer Beziehung interessiert. Ja, und Männer? Sind Männer nicht auch an Kontinuität interessiert?
Der Katalog der Andersartigkeit
Wenn man sich den Katalog der angeblichen Andersartigkeit ansieht, kommt ein merkwürdiges, uneinheitliches bild zustande: Frauen sind weniger am Sex – oder der genitalen Geilheit – interessiert, heißt es da, und Frauen lassen sich nicht so schnell auf ein sexuelles Abenteuer ein wie Männer, oder Frauen brauchen ein langes Vorspiel und auf jeden fall mehr Zärtlichkeit, Frauen ist es egal, wie groß der Schwanz eines Mannes ist, und Frauen sind von Natur aus treuer als Männer. Männer haben mehr sexuelle Affären nebenbei, Frauen sind auf das äußerer Körperbild des Mannes weniger fixiert, als Männer auf das der Frauen. Männer schauen immer nur auf den Busen und wollen immer gleich aufs Ganze gehen. Männer sind im Sex und der Liebe rücksichtsloser und nur auf den eigenen Genuss bedacht und können nie genug kriegen.
Eine Frau lässt sich nicht so leicht um den Finger wickeln wie ein Mann. Frauen machen beim Sex die Augen zu oder schauen nur in die Augen des Geliebten. Männer verstecken ihre Gefühle und Frauen reden darüber. Frauen sind romantisch und vermischen Sex und Liebe, was Männer trennen können. Männer denken immer nur an das Eine und Frauen auch die folgende Verantwortung. Männer sind von Natur aus polygam, Frauen monogam. Für Frauen gibt es auch noch anderes Wichtiges im Leben als Sex. Frauen brauchen länger bis zum Orgasmus und ejakulieren nicht. Sie sind von Natur aus gefühlvoller und verständnisvoller, und sie sind vom Sex emotional so abhängig, dass sie sich ausnutzen lassen bis zum völligen Ruin. Frauen lassen ihren Männern keinen Freiraum und müssen alles unter Kontrolle behalten. Frauen verführen einen Mann durch absichtlich erotisch reizvolles Verhalten und – last not least – Frauen sind unersättlich.
Die Frauen, die ich intim kennen gelernt habe, entsprechen diesen Vorurteilen nicht, und Männer, die ich intim kennen gelernt habe, entsprechen viel eher dem Modell der Frau, das ich beschrieben habe. Ich werde also nicht sagen, dass Frauen anders lieben als Männer, was mir sicher die Verachtung einiger Leserinnen einbringen wird, weil ich eben ein Mann bin und daher Frauen sowieso nicht verstehen kann. Ich werde dem Grund nachspüren, weshalb Frauen auf diese Andersartigkeit aus sind und z. T. auch Männer diese Andersartigkeit Frauen unterstellen.
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Dieser Artikel erschien erstmalig unter dem Titel „Liebe ist transpersonal“ in der Printausgabe „Lieben Frauen anders?“ des Magazins Connection Tantra . Wir danken dem Verlag für die Möglichkeit der Veröffentlichung!
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Sie mussten ihre Lust verstecken
In Gesellschaften, in denen Frauen von Männern getrennt leben, teilweise sogar eine eigene Sprache haben, taucht das Problem einer Andersartigkeit nicht auf. Ihr Alltag, ihre Lebensweisen sind anders, nicht aber ihr Lieben. Jede Frau einer matriarchalen Gesellschaft hat eine andere Stellung im Leben als ein Mann und bezieht ihre Identität und ihr Selbstbewusstsein aus dieser. Sie empfindet sich aber im Lieben nicht anders als ein Mann. Dass Frauen am Sex nicht interessiert sind und wenn, dann nur monogam, lässt sich entwicklungsgeschichtlich nicht nachweisen. Betrachtet man die Vorfahren der Menschen, die Affen, ist festzustellen, dass Weibchen ebenso polygam und untreu sind wie Männchen und genauso viel Sex haben.
Die kulturelle Aberkennung der Lust der Frauen ist ein patriarchales Produkt, einzig und allein zu ihrer vollständigen Entmündigung und freien Verfügbarkeit des Mannes. Die spätere Medizin tat ihr Übriges, indem sie zu beweisen suchte, dass Frauen gar keine Lust hätten, da ihnen ja das männliche Lustorgan, Schwanz, fehlt, also auch gar keine entsprechende Empfindung haben können. Die religiösen patriarchen dekretierten – im arabischen Raum dekretieren sie dies noch heute – dass Frauen zur geistlichen Erhöhung nicht fähig sind. Kein Wunder, dass Frauen ihre vorhandene Fähigkeit zur Lust verstecken mussten, in einer Männerwelt, die die Lust für sich gepachtet zu haben schien, bis hin zur perfekten Selbstverleugnung, die gar nicht mehr als solche empfunden wird, sondern als Identitätsersatz dient.
Sex als Unterpfand
„Wie du es auch machst als Mann, für eine Frau machst du es immer falsch“ sagte ein Freund zu mir und lächelte. „Und hinterher war das Falsche dann doch das Richtige.“ Wir Männer müssen verstehen, dass Frauen, die dem genitalen, lustvollen Sex einfach und ohne Bedingungen zustimmen, als schlechte Frauen gelten oder doch wenig angesehener sind. Jede Frau dagegen, die ihre körperliche Willigkeit so teuer wie möglich verkauft hat, gilt als etwas Besseres. „Also, bevor mein Mann nicht die Kohle raufgeholt, den Abwasch gemacht, den Hund Gassi geführt hat und bevor er mir kein neues Kleidungsstück gekauft hat, kommt er mir nicht ins Bett.“
Die Wahrheit ist, dass Männer leicht erpressbar sind, weil den meisten Männern eine Alternative fehlt. Die brauchen eben eine Frau, um sich richtig geil zu fühlen. Die wenigsten Männer können sich wirklich lustvoll selbst befriedigen, und nur wenige haben einen Freund, mit dem sie sexuell sein könnten. Um Sex zu bekommen, versprechen Männer die unsinnigsten Sachen. Männer verzichten weniger gern auf Sex als Frauen. Das kommt daher, dass Frauen fast nur dieses eine Unterpfand haben gegen diese Männerwelt: ihre körperliche Verfügbarkeit. Frauen sagen anfangs nein, obwohl sie ja meinen. Das weiß nahezu jeder Mann. Das hat nichts mit einer anderen Empfindung oder Liebe zu tun: Es ist ein Machtspiel und es ist viel anständiger, nicht schuld zu haben daran, dass frau sexuell wurde – der Mann hat es doch gewollt; und es befreit sie selbst von jeder Anstrengung, und falls der Akt nicht befriedigend war für die Frau, ist das leichter zu ertragen – sie hat es nicht gewollt, und der Mann hat es nicht richtig gemacht oder zum unpassenden Moment gewollt.
Sex muss sich „von allein“ ergeben
Viele Frauen können mit der männlich munteren Frage: „Liebes, wollen wir Sex machen?“ nicht umgehen. Das Beste für eine Frau ist, dass Sex sich wie von alleine ergibt, als hätte er ihre Gedanken geraten; dann fühlt sie sich verstanden. Ähnlich ist das mit der romantischen Sprache. Frauen drücken das, was sie nicht dürfen, eben blumig aus. Vulgäre Ausdrücke, auch wenn sie noch so geil sind und sie auch anmachen, bringt eine Frau kaum über die Lippen, es sei denn, es hört keiner zu. Ein Mann darf das: Männer sind ja sowieso Schweine und Frauen edel und rein und werden für die Lust des Mannes gebraucht.
Dabei sind Frauen genauso schwanzgeil wie Männer, nicht weil sie einen Penisneid haben, sondern weil sich an diesem herausragenden Körperteil die Geilheit und Lust unverfälscht und deutsch zeigt und sich auch gut anfassen lässt. Vor allem wenn er wegen ihr steht, fühlt sie sich bestätigt. Ein Schwanz kann eben nicht lügen. Das Weibliche dagegen liegt sozusagen unter Putz und es ist nicht auszumachen, ob da auch Lust ist oder nicht. Einem Mann ist jede Schwankung der Lust anzumerken, das verunsichert ihn ja auch zum Teil so, dass er lieber zum mackerigen Rammler wird, nur um alles schnell hinter sich zu bringen. Frauen dagegen können so tun, als ob es geil sei, oder ihr Geilsein so verstecken, dass sie es zum Schluss selbst nicht mehr merken und es für eine Unpässlichkeit oder Migräne halten.
Einem meiner Freunde steht sein gutes Stück ohne besondere Anstrengungen nahezu immer, auch nach wiederholten Ejakulationen, oder auch in Abwesenheit irgendeiner Frau. Er ist für Frauen gänzlich uninteressant. Die wenigsten Frauen stehen ehrlich zu ihrem Lustverlangen und die meisten Männer haben vor solchen Frauen Angst. Daher das Spiel mit der Andersartigkeit des Weiblichen, wenn man mal vom Kinderkriegen absieht. Frauen sind zum Muttersein verurteil und die Mütter waren sie anständig sexuell, sondern schlichtweg ungeil. Die Mütter sind es, die der Wahrheit der Lust im Wege stehen, weil die Männer das so wolle.
Liebende und Geliebte
Nein, ich finde nicht, dass Frauen anders lieben als Männer. Sie lieben es nur, als anders zu erscheinen. Liebe und Lust gehen bei Mann und Frau so tief, wie sie eben individuell gehen, und das hängt nicht vom Geschlecht ab, sondern einzig und allein davon, ob sie oder er ihre Gefühle offen und frei zulässt. Die Wahrheit ist, dass es in Liebesverhältnissen immer einen Geliebten und einen Liebenden gibt, und das ist auch nicht vom Geschlecht abhängig. Der oder die Liebende gibt ganz und rücksichtslos hin und ist nahezu zu allem bereit. Der oder die Geliebte ist frei, sich zu verweigern oder sich hinzugeben.
Im Tantra verschwinden solche gesellschaftlichen oder rollenspezifischen Unterscheidungen von ganz allein. Der Frau kommt ihr ursprüngliche, vielleicht matriarchale Rolle wieder zu, dass sie die aktiviere ist, dass ihre Lust im Vordergrund steht, dass sie sich gehen lassen kann, dass sie ihre häufig größere Lust ganz unabhängig von Partnerverpflichtungen und Beziehungsrücksichten ganz entfaltet.
Dennoch ist der Liebe der Frauen, die ja auch im Tantra, bei aller Technik oder Ritualität, keineswegs verschwindet, keine andersartige, als die des Mannes so wenig wie ihre Spiritualität keine geringere ist als die des Mannes. Wer wirklich ganz in die Liebe eintaucht, verliert alle diese trennenden und unterscheidenden Klischees. Er oder sie wird zur Liebe selbst, und die ist transpersonal. Sie ist eben nicht an Bedingungen aus Alter, Rasse, Religion, Stand oder Geschlecht gebunden.
Zum Autor:
Andro (Jahrgang 1941) ist ein spiritueller Lehrer, der sich seit ca. 30 Jahren mit dem Thema Sexualität befasst. Er ist einer der führenden Tantralehrer und -ausbilder in Deutschland. Er war auch einer der ersten, der dazu beitrug, dass Tantra im Westen bekannt wurde.