„Aus dem untersten Kielraum meines Schiffchens hat in blinder Trunkenheit die Liebe ihren Venussaft in deinen jungfräulichen Kahn geschleudert.“
Lesen Sie diesen Satz nochmal. Ganz langsam. Haben Sie eine Vorstellung, was diese Worte bedeuten könnten? Sie stammen aus einem berühmten erotischen Roman der Renaissance. Sie beschreiben eine orgiastische weibliche Ejakulation.
Hier die ganze (leicht gekürzte) Szene aus „Die Gespräche der Luisa Sigea“ von Nicolas Chorier, in deutsch unter „Die Frauenzimmerschule“ erschienen. Eine erfahrene Frau (Tullia) führt eine junge, unerfahrene (Octavia) in die Empfindungen und Variationsmöglichkeiten der Sexualität ein:
Tullia: Weiche doch nicht zurück, Liebling! Öffne die Beine!
Octavia: Du siehst, ich hab‘s getan. Und nun hast du mich ja ganz und gar: dein Mund ist auf meinen Mund gepresst, deine Brust auf meine Brust, dein Schoß auf meinen Schoß.
Tullia: Hebe die Unterschenkel noch höher! Schließe deine Lenden über meinen Lenden zusammen. Ich lehre dich in deiner holden Unerfahrenheit jetzt eine neue Venus kennen. Wie eifrig du mir gehorchst!
Octavia: Ach! Ach! Meine liebe Tullia. Wie du mich stößest, wie du dich hin- und herbewegst! Ich wollte, diese Lichter würden gelöscht; ich schäme mich, dass das Licht es mit ansehen soll, wie ich dir unterliege.
Tullia: Gib doch acht, was du zu tun hast! Wenn ich stoße, so musst du gegenstoßen. Bewege deine Hinterbacken, wie ich meine bewege. Hebe sie so hoch, wie du nur kannst!
Octavia: Wirklich, du machst mich mit deinen schnellen Stößen ganz müde; du presst mich zusammen.
Tullia: Komm, Octavia, umklammere mich! Nimm mich hin! Da! Da strömt mein Leben! … Oh! Wie glüht mir der Busen! Ach, ach, … ach!
Octavia: Dein Gärtchen setzt das meinige in Brand. Aber du hast mein Gärtchen mit einem Regen überschwemmt: ich fühle mich ganz und gar nass! Mit was für Greueln hast du mich überströmt, Tullia?
Tullia: Ja, freilich, ich bin fertig geworden. Aus dem untersten Kielraum meines Schiffchens hat in blinder Trunkenheit die Liebe ihren Venussaft in deinen jungfräulichen Kahn geschleudert.
Haben Sie solche starken Bilder in einem zeitgenössischen Erotikon schon mal gefunden? Natürlich weiß ich, dass man heute nicht mehr so schreiben kann, wie vor 100, 200, oder 500 Jahren. Allerdings fürchte ich, dass man das auch nicht mehr KANN. Aber wie auch immer. Ich will gar nicht werten, sondern mit diesem Artikel die Freunde und Genießer erotischer Literatur lediglich anregen, mal zu den Klassikern zu greifen und dort nicht nur erotische, sondern auch literarische Perlen zu entdecken.
Meine Empfehlung: Anthologie erotischer Literatur
Hätten Sie Lust dazu? Dann empfehle ich Ihnen „Erotikon. Erotische Kunst und Literatur aus aller Welt. 470 Seiten, Großformat, Taschen Verlag.“
Diese reichhaltige Anthologie ist meiner Meinung nach das Beste, was es in Wort und Bild auf diesem Gebiet gibt. Ein Spaziergang durch die erotische Literatur und Kunst aus 2000 Jahren mit beispielhaften Text-Ausschnitten und über 450 Darstellungen der Bildenden Kunst. Ein absolut anregendes Lese- und Schauvergnügen.
Leider vergriffen, aber antiquarisch leicht aufzuspüren, z.B. bei Amazon oder booklooker.de. Übrigens: Aus der „Frauenzimmerschule“ bekommen Sie derzeit eine Passage auf ohren-lust.de vorgelesen. Der Orgasmus wird dort mit den Worten beschrieben „meine Seele entflieht mir“. Auch schön, oder?