In „Sex mit der Maus“ geht es keinesfalls um zoophile Neigungen, wie der Titel vermuten lässt, sondern die Autoren Joachim Feyerabend und Julia Caspari spüren in ihren Beiträgen Frauen nach, welche sich im Internet auf die Suche nach Lust begeben. Wie reden Frauen online über Sex? Wie verhalten sie sich gegenüber Männern? Welchen Gefahren sind sie ausgesetzt? Verschaffen sich inzwischen auch Frauen mit wenigen Klicks online Lust – ebenso wie Männer? Sex mit der Maus eben.
Von Sexportalen, Pornosucht und Onlinebelästigungen
In dem ersten Beitrag „Die stille Revolte unbefriedigter Frauen“ begibt sich Joachim Feyerabend in die Welt der Sexkontaktbörsen á la Joyclub, MyDirtyHobby und Co. Er will „herausfinden, was sich hinter den Kulissen des anonymen Internets in Sachen Sexualität abspielt.“ Dazu „prüft“ er nach eigener Aussage mehr als 200 Kontakte auf diversen Sexportalen und führt auch einige Korrespondenzen. Zugleich zieht er verschiedene Artikel aus Zeitschriften hinzu, um seine eigenen Erkenntnisse zu untermauern. Er stellt fest, dass die scheinbare Anonymität des Internets vermehrt zu einer Enthemmung geführt hat. Es gibt kaum noch Tabus und Wünsche werden ohne Scham geäußert. Wobei manche Frau ebenso direkt vorgeht wie die meisten Männer. Frauen, die sich vorher aufgrund dörflicher Umgebung oder Schamhaftigkeit vor den Nachbarn nicht getraut haben ihre Sexualität frei auszuleben, können dies nun mithilfe des Internets tun. So zumindest Feyerabend These, welche er mit Zitaten von Chatpartnerinnen belegt, wie dieses einer 50jährigen Österreicherin: „Jetzt wird gefickt! Wieso uns hinter Anstand und Moral verstecken, wenn wir alle doch nur dasselbe wollen?“
Dem zweiten Beitrag im Buch von Julia Caspari ist noch der Erlebnisbericht „Verloren gegen die Frauen im Netz“ von Johanna Volkmann vorgeschoben. Johanna, konfrontiert mit dem übermäßigen Pornokonsum ihres Freundes, muss feststellen, dass ihr Freund zunehmend die virtuellen Frauen ihr vorzuziehen scheint. Egal ob sie nun versucht sich ihm in sexy Dessous zu zeigen oder offen für neue Spielarten der Lust erklärt. Sie steigt also selbst in die Pornowelt ein, um das Verhalten ihres Freundes Jakob nachzuempfinden. Dabei entdeckt sie Pornos aber schnell auch als Anreiz für die eigene Lust. Mit der weiter anhaltenden Zurückweisung ihres Freundes aber, stürzt sie in eine schwere Selbstvertrauenskrise und schließlich in Depressionen. Diese überwindet sie spannenderweise in langem Kampf mit sich selbst und der eigenen Sexualität auch mithilfe von Pornos und dem Internet.
Im letzten Beitrag „Zwischen Mythen, Genuss und ‚rape train‘. Von Frauen und Onlinesex“, reißt Julia Caspari verschiedene Themen an, wie Frauen sich im sexualisierten Raum des Internets bewegen. Was treiben sie dort – zum Beispiel Aufklärung und Austausch, Kontaktsuche, Shopping von Sexspielzeug oder auch Sexarbeit. Sie geht auch der Frage nach, warum Frauen zunehmend im Internet auf die Suche zur Befriedigung ihrer sexuellen Wünsche gehen. So beteiligt das WorldWideWeb Frauen weitaus stärker und bietet mehr Nischen für Produkte die direkt auf Frauen zugeschnitten sind als das Offline Marktangebot, welches von Männern für Männer geschaffen ist. So die These von Julia Caspari, welche sie immer wieder mit Studien und Forschungsliteratur zu unterlegen versucht. Gleichzeitig weist sie aber auch auf die Gefahren hin, welche Frauen im Internet erwarten. So sind sie auch in diesem Raum massiver Diskriminierung und sexistischer Anfeindung ausgesetzt.
Am Ende des Buches ist noch ein Glossar „Geheimsprache der Lust“ angeschlossen, welches einige Abkürzungen und Begriffe der Internet-Sexwelt erläutert.
Wenn man ein Sexportal besucht, darf man nicht übe Sexangebote verwundert sein
Mit bereits über 70 Jahren auf dem Kerbholz, sowie umfangreichen journalistischen Erfahrungen ist Joachim Feyerabend durchaus versiert im Umgang mit der deutschen Sprache. In diesem Sinne scheint er für seinen Essay sein gesamtes Arsenal an sprachlichen Bildern ausgepackt zu haben. Nicht, dass diese Sprache nicht auch ihre schönen Seiten hat, aber wenn von Gossensprache, Stangenfieber und schlüpfrigen Bildern die Rede ist, wirkt sie etwas angestaubt. Auf diese Weise überfrachtet, wird das Lesen streckenweise schon recht beschwerlich.
Feyerabends Ausflug in die Welt der Sexportale hat etwas von einem Jungen, der zum ersten Mal in einem Süßigkeitenladen steht. Jeden Morgen fährt er auf dem Weg zur Schule an dem Laden vorbei und malt sich immer wieder aus, welche Naschereien er zu erst kosten wird. Und dann steht er zum ersten Mal im Laden und weiß gar nicht wo er zuerst anfangen soll.
Wenn man sich auf Sexportale begibt, darf die Verwunderung nicht groß sein, dass dort auch Frauen direkt auf der Suche nach Sex sind und sich sprachlich entsprechend äußern. Auch gilt es bei den Portalen noch zu Unterscheiden, ob es sich um ein Erotikportal wie zum Beispiel Joyclub handelt oder einem Sexportal wie MyDirtyHobby, bei denen Amateur-Sexclips verkauft werden. Zu hinterfragen ist Feyerabend außerdem in der Aussagefähigkeit seiner Zitate. So setzt er auf besonders effekthaschende Aussprüche wie „Hau ihn rein, den Pisser“, und beschreibt auch generell eine besonders derbe Sprache, wobei doch bei einigen Portalen wie zum Beispiel JoyClub ein sehr moderater Umgangston herrscht und die von ihm benannte „Gossensprache“ eher in der Minderheit vorkommt. Im Hinblick auf die Sprache wäre auch eine genauere Analyse wünschenswert gewesen, warum sich Frauen so präsentieren wie sie es tun. Ein Hinweis auf die „enthemmte Frau“ greift hier meiner Einsicht nach zu kurz.
Ansonsten hat Feyerabend ordentliche Recherchearbeit geleistet und zahlreiche Informationen über verschiedene Portale zusammengetragen und in der Praxis erprobt. So identifiziert er drei Typinnen von Frauen, welche sich besonders oft auf den Portalen tummeln. So wären da „Junge Frauen bis Ende 20, die Erfahrungen suchen“, „Die ‚unbefriedigte Hausfrau‘ […] Sie ist auf der Suche nach einer Befriedigung, die ihr Gefährte nicht bringt“ und „Singlefrauen, die sich noch die Hörner abstoßen wollen.“ Es sei jedoch anzumerken, dass es diese Typinnen von Frauen, welche „im Nachbarhaus wohnen“ könnten oder „dir in der Bahn oder im Café gegenübersitzen“ nicht erst durch die Portale entstanden, sie sind durch das Internet einfach nur sichtbarer geworden.
Des Weiteren beobachtet Feyerabend eine zunehmende Veränderung von Vorlieben und das Fallen von Tabus sowie die Anpassung des Angebotes daran. Es gibt zum Beispiel immer mehr Pornos von Frauen für Frauen und auch das Thema Selbstbefriedigung der Frau ist nicht mehr ganz so tabu – das zeigt zumindest der anhaltende Boom der Sexspielzeugindustrie.
Im Fazit kommt Feyerabend zu dem Schluss, dass wir uns in einer „Revolution auf leisen Sohlen“ befinden. „Die religiös verordnete Unterdrückung der Lüste“ bricht auf und viele Bundesbürger gewähren sich eine immer größere Freizügigkeit – zumeist zwar noch im stillen Kämmerchen, aber immerhin. Diesem Schlusssatz kann ich dann trotz aller Kritik doch wieder zustimmen.
Die Sexualisierung des Internets für Frauen
Ein Kontrastprogramm zu Feyerabends blumiger Sprache bildet der Aufsatz von Julia Caspari, welcher sich schon eher in Richtung eines wissenschaftlichen Textes bewegt, wovon nicht zuletzt die zahlreichen Fußnoten mit Hinweisen zu weiterer Literatur zeugen. Jedoch, so überbordend die sprachlichen Bilder bei Feyerabend sind, wäre wiederum etwas mehr Lockerheit der Sprache bei Caspari angenehm gewesen. Auch offenbaren sich zwischendurch immer mal wieder ein paar strukturelle Schwächen, wenn es nicht ganz klar ist, wie zwei Absätze inhaltlich zusammengehören.
Caspari arbeitet gewissenhaft die verschiedenen Plätze von Sexualität im Internet ab. Angefangen bei Aufklärung, über Pornos, Onlinesex bis hin zur Kontaktsuche und Shopping. Das Kapitel zur Sexarbeit nimmt dabei leider nur eine halbe Seite ein, hätte aber aufgrund des Wachstums dieses Zweiges der Internet-Sexualität durchaus mehr Betrachtung verdient gehabt. Sie stellt in ihren Ausführungen mehrere richtige und wichtige Thesen auf, so zum Beispiel, dass das Internet im steigenden Maße „Frauen ermöglicht, sexuelle Inhalte zu gestalten und an sexuellen Angeboten als Kundin und Produzentin zu partizipieren, ohne stigmatisiert zu werden.“ Diese These kann ich nur unterstützen. Sehr deutlich zeigt sich das schon in dem veränderten Erscheinungsbild von Erotikshops, welche inzwischen zunehmend vor allem helle, freundliche Erscheinungsformen gewählt haben und sich nicht mehr wie der schmuddelige Bahnhofserotikladen um die Ecke präsentieren. Und somit auch für Frauen besuchenswerter geworden sind. Caspari stellt aber auch fest, dass Frauen hart um diese Freiheiten kämpfen müssen, denn die Männer räumen nicht immer freiwillig das Parkett. Dies deckt sich auch mit meinen Beobachtungen. Sie unterlegt ihre Thesen immer mit Fachliteratur und Studien, insbesondere mit Rückgriff auf den Sammelband „Die Frauen und das Netz. Angebote und Nutzung aus der Genderperspektive.“
Trotz der ganzen positiven Effekte, welche das Internet hat, stößt sie aber auch immer wieder auf zwei Probleme. Zum einen darauf, dass es erstaunlich wenig Informationen und Studien über das positive Verhalten von Frauen im Web gibt – wir also noch vor einem recht unbefleckten Forschungsfeld stehen und es schwer ist klare Aussagen zu treffen. Zum anderen, dass Frauen ebenso wie in der Offlinewelt häufig sexueller Belästigung und Diskriminierung ausgesetzt sind und vielen Frauen die entsprechende Kompetenz fehlt, sich dagegen zur Wehr zu setzen. So werden Frauen laut Caspari häufig in die Opferrolle gedrängt, anstatt sie als „aktive Gestalterinnen“ wahrzunehmen.
Umso wichtiger erscheint aus meiner Sicht ihr Appell am Ende des Essays nach einer besseren Medienkompetenz, welche an Frauen (und Männer) vermittelt werden muss, damit sie sich besser schützen können.
Die Folgen von übermäßigem Pornokonsum
Der Bericht von Johanna Volkmann ist sehr erfrischend und interessant, schildert sie doch eine wichtige Episode aus ihrem Leben. Trotzdem wäre etwas mehr Differenzierung schön gewesen. So bekommt man den Eindruck, dass der Konsum von Pornographie in einer Beziehung automatisch zur Entfremdung von Partnerin oder Partner führt. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Es handelt sich bei dem Freund von Johanna um eine besonders ausgeprägte Form von Pornosucht, welche wie jede andere Sucht zerstörerisch wirken kann. Das gelegentliche Anschauen von Pornos ist keineswegs schädlich, sondern kann dem Sexleben sogar förderlich sein.
Fazit
Die Verschiedenartigkeit der Texte ist einerseits erfreulich, andererseits aber auch problematisch. So lässt sich nicht wirklich eine Zielgruppe ausmachen. Joachim Feyerabends Beitrag lockt sicher keinen der Generation-Y oder jünger hinter dem Ofen vor – es fühlen sich wahrscheinlich eher deren Elterngeneration von dem Text angesprochen. Casparis Beitrag hingegen bewegt sich aufgrund des Grundtones, Aufbaus und Inhaltes schon eher in Richtung Aufklärung und spricht damit eine andere Zielgruppe an. Etwas aus dem Rahmen fällt der Erlebnisbericht von Johanna Volkmann, welcher wiederum genau die bereits benannte Generation-Y anspricht und eher auf einem Onlinemagazin wie Vice zu erwarten gewesen wäre, als zwischen den anderen beiden Beiträgen.
In ihrer Essenz stimmen jedoch alle drei Texte überein. Mit dem Internet hat sich für die Sexualität ein neuer Raum eröffnet. Während Feyerabend es als „Revolution auf leisen Sohlen“ bezeichnet, die sich von der virtuellen Welt in die heimischen Schlafzimmer überträg, spricht Caspari davon, dass das Internet ein öffentlicher und wirklicher Ort ist und somit auch online erzeugte Lust wirkliche Lust ist. Beide betonen aber auch die Gefahren, die in den Tiefen des Netzes lauern, und dass die Menschen lernen müssen, sich davor zu schützen. Beide Seiten der Medaille veranschaulicht die Lebensgeschichte von Johanna, welche erst die dunkelsten Seiten des sexualisierten Internets kennen lernte. Die daraus resultierenden Schwierigkeiten aber auch wiederum mithilfe des Internets und des darin existierenden Angebots rund um Sexualität überwinden konnte. Insofern verbindet Johanna Volkmann dann doch die beiden Texte, in dem sie am praktischen Beispiel sowohl die Chancen als auch die Gefahren der Internetsexualität aufzeigt.
Das Buch wagt sich in ein Feld vor, dass, wie die Autoren feststellen, noch kaum erforscht ist. Insofern lohnt es, trotz kleiner Schwächen, das Buch gelesen zu haben, wenn man sich mit der Sexualität von Frauen im Netz beschäftigt. Jedoch ist es sinnvoll zum Ebook für 2,99 Euro zu „greifen“, weil die Printversion mit 7,50 Euro wesentlich teurer ist und weder mit einem schicken Cover, noch mit einem sonstigen Mehrwert aufwarten kann. Auch sind die 138 kleinformatigen Seiten schnell mal am Bildschirm oder auf dem Kindle durchgelesen.
„Sex mit der Maus“ von Joachim Feyerabend und Julia Caspari
136 Seiten, Eire Verlag
7,50 Euro (Kindle 2,99 Euro)