Leiden Singles unter Bindungsängsten?

Wie kommt es, dass sich viele Menschen einerseits nach Liebe sehnen und sich trotzdem davor fürchten? Der Tantralehrer Lucian Loosen vertritt die Ansicht, dass alle Singles – zumindest wenn sie über eine längere Zeit solo sind – unter Bindungsängsten leiden. Sie entwickeln Mechanismen, um sich vor dem zu schützen, was sie sich eigentlich am sehnlichsten wünschen: Intimität. Die Seuche der zivilisierten Welt: Angst vor Nähe. Die Angst vor der Nähe scheint eine verbreitete moderne Seuche zu sein. Warum sehnen wir uns nach Intimität und tun, wenn wir sie erreichen, alles, um sie wieder zu zerstören?

Sich zu verlieben ist ein Heraufbeschwören des berauschenden Zustands, in dem zwei Wesen zu einem verschmolzen sind. Es hat zu tun mit unserer Vorstellung vom Garten Eden, in dem wir im Mutterleib gelebt haben, bevor wir erkannten, dass jeder von uns allein ist. Doch diese intensive Verschmelzung ruft unvermeidlich auch Erinnerungen an Enttäuschungen hervor, und die lösen Ängste aus: die Angst vor Trennung, die Angst vor Verlust, die Angst vor dem Verlassen werden die Angst vor Schmerz.

Wie kann man lernen, sein Liebesgefühl auszuhalten und zu verstärken und wieder bindungsfähig zu werden? Es geht dabei auch um die Heilung von Schockerlebnissen aus der Kindheit, die dazu geführt haben, dass wir Liebe mit Angst verbinden, Beschenkt-Werden mit Abwendung und Nähe mit Schmerz und deshalb davor fliehen… Es geht darum, Traumata zu heilen und die unterbrochene Hinbewegung zu wichtigen Bezugspersonen (meist Mutter und Vater) an ihr Ziel zu bringen, und um den Wert von Körperkontakt, Zärtlichkeit und das Sich-Gegenseitig-Halten in Beziehungen.

Lerne wieder:
»Liebe ist Vertrauen.
Liebe ist Halten und Gehalten werden.«
Wir laufen der eigenen Sehnsucht davon

Das Problem ist die Flucht vor der Nähe. Warum wir gerade das abwehren was wir so innig begehren, kann drei Gründe haben. Der erste Grund hat mit einer familien-systemischen Verstrickung zu tun. Dies bedeutet, dass die Person, die keine Nähe aushält in Wirklichkeit im Herzen besetzt ist von einer Person aus der eigenen Familie. Das geschieht völlig unbewusst, und es können auch Identifikationen mit Personen sein, die schon tot waren, bevor die Person geboren war, die das Problem mit der Nähe hat. Das andere nennt man auch »unterbrochene Hinbewegung«. Durch ein Schockerlebnis in Kindheit oder Jugend kommt es zu einer entwicklungspsychologischen Fehlentwicklung. Der dritte Grund ist, dass eine ehemalige Liebesbeziehung noch nicht seelisch abgeschlossen ist, weil keine Abschieds- und Trennungsrituale durchgeführt und eingehalten wurden.
Nähe wird dann als Bedrohung erlebt, Fürsorge als Gängelung; Zuwendung als »Käfig-Haltung« und Liebe als Schmerz und Gefahr.
Die ganz große Liebe hat in der Tat auch immer etwas mit Schmerz zu tun, weil sie uns wieder in Kontakt bringt mit der ersten großen Liebe unseres Lebens, der Beziehung zu Mutter und Vater. Da es dort auch Unerfülltheit und »Erziehungsfehler« gab, zumindest auch die nötige Abtrennung aus der Ur-Symbiose, können solche ungelösten Knoten im Erwachsenenleben in die Mann-Frau-Beziehung hineingetragen werden.
Nach meinem Wissen und meinen Erfahrungen ist das Trauern, das Aushalten von altem Schmerz, wenn er hochkommt, das Weinen mit offenen Augen, der einzige Weg; der ehrliche Weg, das Herz wieder zu öffnen, wenn es verwundet und verletzt ist.
Der andere Weg ist, innerlich in die Zeit des Schocks zurückzugehen und sich dabei körperlich festhalten zu lassen.

Deine Liebe erdrückt mich

Er war weggelaufen, als es gerade am schönsten war. Einfach so. Eines Morgens Monika (26) hatte sich gerade aus dem Bett gequält fand sie diesen Brief: »Es ist mir zu eng mit dir. Ich kann so nicht leben. Bitte versteh mich.«
Verstehen? Erst konnte sie es gar nicht glauben. Das sollte wohl ein Scherz sein. Schließlich war sie erst vor zwei Wochen gemeinsam mit Wolfgang (28) in die lang gesuchte Altbauwohnung gezogen. Ein knappes Jahr lang waren sie zwischen Frankfurt und Köln hin- und hergependelt fast jedes Wochenende hatten sie sich gesehen. Ein knappes Jahr, und jeder Tag davon hatte Hoffnung bedeutet. Hoffnung darauf, dass diese Zeit endlich zu Ende gehen würde, dass man bald richtig zusammen sein könnte. »Mir ist das alles irgendwie zu viel geworden,« sagt Wolfgang später. »Ich meine, so eine richtige Beziehung mit gemeinsamem Schlafzimmer, gemeinsam einkaufen gehen und all dem. Ich glaube, ich will mich in Sachen Beziehung noch nicht richtig festlegen.« Und dann kam dieser Satz, der Monika am meisten traf: »Aber vielleicht passen wir auch einfach nicht zusammen. Vielleicht brauche ich doch eine Partnerin, die mir mehr Freiraum lässt.«
Irgendwie kamen Monika diese Worte bekannt vor. Hatte sie früher nicht schon Ähnliches aus Wolfgangs Erzählungen gehört, damals, als er von seinen ehemaligen Freundinnen erzählte? »Die haben immer geklammert« oder »Ich fühlte mich total unfrei« so hatte er stets über seine Beziehungen gesprochen. Und immer betonte er jenen einzigen Satz: »Mit dir ist das nicht so, das ist was ganz anderes.«

Auf einmal begriff Monika: Wolfgang fürchtete sich vor Nähe. Und die Beziehung war nur deshalb so lange gut gegangen, weil sie permanent auf Distanz gelebt hatten, weil jeder sein eigenes Leben geführt hatte mit Ausnahme des Wochenendes eben.
Jeder Single hat Angst vor Bindung aber kaum ein bindungsscheuer Mann, kaum eine bindungsscheue Frau weiß von diesem Problem.
Alles was endgültig erscheint, macht Angst

In gewisser Hinsicht haben wir alle Angst vor Bindungen. Jeder Mensch. Spätestens dann, wenn wir das Gefühl haben, unser natürliches Grundbedürfnis nach Freiheit und eigenem Revier könnte eingeschränkt oder bedroht werden. Dann fragen wir uns: Wollen wir das wirklich? Denn in unserem Inneren ahnen wir, dass wir nicht nur etwas bekommen werden, sondern auch etwas geben müssen. Es wird von uns erwartet, dass wir verlässlich sind und Verantwortung übernehmen, dass wir Verpflichtungen nachkommen und Erwartungen erfüllen. Meist fällt es uns mit zunehmendem Alter und wachsender Reife leichter, uns so intensiv auf einen anderen Menschen einzulassen. Wir erfahren, dass es eine zutiefst angenehme und lohnende Erfahrung sein kann, etwas von sich herzuschenken, auch wenn wir dabei auf ein Stück Freiheit verzichten müssen.
Beim bindungsängstlichen Menschen ist das anders. Experten vermuten, dass ein Mann oder eine Frau, die als Kind ständig bemuttert wurde und sich dadurch eingeengt fühlte, später womöglich jede feste Form aus dem eigenen Leben verbannen wird. Alles, was in irgendeiner Weise endgültig erscheint, wird Angst hervorrufen.

Das Paradoxe dabei ist, dass man sich gleichzeitig von dem Menschen bedroht fühlt, den man liebt, und den man eigentlich auch lieben möchte

Wolfgang geriet in Panik, als er gerade dabei war, die Wände der Wohnung zu streichen. »Als ich mich in unserem zukünftigen Zimmer umsah, wurde mir richtig schwarz vor Augen, so sehr fürchtete ich mich plötzlich vor dem engen Zusammensein mit Monika,« gesteht er im Nachhinein. »Ich habe meine Möbel im Flur stehen sehen und gedacht: Mensch, das sind jetzt unsere Möbel. In Zukunft gibt es kein Ich und kein Mein mehr. Alles wird wir und unser heißen. So willst du nicht enden, dachte ich auf einmal. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion beschloss ich, mich von Monika zu trennen. Ich habe irgendwie gespürt, dass es wohl falsch war, was ich da tat. Doch ich konnte nicht anders. Ich war wie gelähmt in meinem Handeln. Ich wollte weg, einfach nur noch weg.«

Bindungsangst wird manchmal auch mit Platzangst verglichen. Es heißt, für einen bindungsscheuen Menschen sei eine feste Partnerschaft wie ein geschlossener Raum, aus dem es womöglich kein Entrinnen gibt. Die Furcht davor, diesen Raum zu betreten beziehungsweise sich auf einen Menschen einzulassen kann so groß sein, dass alle möglichen klassischen körperlichen Angstsymptome ausgelöst werden können: Kopfschmerzen, Übelkeit, Nervosität,Herzklopfen, Schweißausbrüche. Solche Reaktionen sollen den Körper mobil machen und ihn auf Kampf oder Flucht vorbereiten. Das Gehirn sendet eine Botschaft an den Körper, die in etwa lautet: »Ich bin in Panik«. Der Körper antwortet: »Sieh zu, dass du wegkommst!« und verhält sich ähnlich wie bei einem Menschen mit Platzangst, der im Fahrstuhl, in einer Menschenmenge oder einem Kleiderschrank eingeschlossen ist.
Es ist, als hätte ich zwei Seelen

Was könnte für eine Frau oder einen Mann verwirrender sein als ein Partner, der zuerst versichert, er wolle mit dir zusammen sein, der aber dann zeitweise oder sogar für immer verschwindet. »Es ist, als hätte sie zwei Seelen«, sagte einmal ein Mann, der über Jahre hinweg in einer solchen Beziehung der Extreme lebte. Und das trifft es genau. Der bindungsscheue Mensch hat mit mächtigen Dämonen zu kämpfen. Einerseits hat er einen ungeheuer starken Wunsch nach einer Bindung. Das Paradoxe dabei ist, dass er sich gleichzeitig von dem Menschen bedroht fühlt, der ihn liebt, und den er eigentlich auch lieben möchte. Seine Furcht vereinnahmt zu werden und die eigene Freiheit zu verlieren ist so groß, dass er schließlich das Gegenteil von dem tut, was er tatsächlich will. Er entfernt sich, anstatt sich anzunähern. Er sucht Abstand, obwohl er sich in Wirklichkeit nach Nähe sehnt.
Flucht vor Nähe, Flucht vor Bindung, Flucht vor der Ewigkeit am Anfang der meisten Beziehungen, die Männer oder Frauen eingehen, scheinen diese Probleme noch nicht einmal ansatzweise vorhanden zu sein. Im Gegenteil: Da sehen Frauen einen Mann oder Männer eine Frau vor sich, einen Menschen, der unbedingt Liebe zu brauchen, Liebe zu wollen scheint. Und nicht selten sind es gerade das heftige heftiges Werben und die rührenden Zugeständnisse, was einen davon überzeugt: Auf diesen Menschen könnte ich mich einlassen. Doch sobald du das tust, sobald der Liebe eine Chance gegeben wird, ändert sich etwas. Plötzlich läuft der Umworbene davon: Der feurige Verehrer von gestern, die Super-Liebhaberin von vor vier Wochen der Mann, der dich mit treuem Hundeblick angesehen und gemeint hatte, du seiest die schönste Frau, der er je begegnet ist; die Frau, die dir gestand, dass du der erste richtige Mann seiest, den sie getroffen hat…

Die Fluchtarten sind dabei so unterschiedlich wie die bindungsscheuen Menschen selbst. Manch einer versucht sich zu distanzieren, indem er einen unsinnigen Streit provoziert, ein anderer ist auf einmal wie vom Erdboden verschluckt und meldet sich nie wieder. Das Schlimme ist, dass so gut wie kein bindungsscheuer Mann, fast keine bindungsscheue Frau von dem eigenen Problem weiß. Solch ein Mensch versteht nicht, was in ihm vorgeht, er spürt lediglich, dass irgendetwas falsch läuft. Weil der bindungsscheue Mensch nicht das Gefühl haben will, dass er selbst es ist, der dauernd die Chance für die Liebe zerstört, braucht er eine Erklärung, bei der er halbwegs anständig wegkommt. Und da keine Frau und kein Mann perfekt ist, muss er nicht lange suchen, um ein passendes Argument für sein Ausbrechen aus der Beziehung zu finden. Die klassische Reflex-Reaktion ist: »Ich kann nicht schuld sein, also muss er oder sie es sein.« »Vielleicht brauche ich einen Partner, eine Partnerin, die mir mehr Freiraum lässt.« Damit belügen die bindungsscheuen Menschen sich dann selbst denn es kann nie genug Freiraum sein. Es ist endlos.
Noch Monate nach der Trennung wollte der Satz von Wolfgang nicht aus Monikas Kopf. Hatte sie Wolfgang denn jemals eingeengt? Erst spät begriff sie: Es war sein Problem; er hätte es lösen müssen. Um es gemeinsam zu lösen, war es schon zu spät.
Wir alle hatten in der Säuglings- und Kindheitszeit wichtige Menschen, die uns gepflegt und versorgt haben. In der Regel waren das die Eltern. So haben wir zum ersten Mal gelernt, was Nähe und Liebe bedeutet. In der Regel waren so Mutter und Vater die erste große Liebe unseres Lebens. Da diese Erfahrungen sehr früh waren, haben wir hier auch sehr tief verwurzelt gelernt, was Liebe ist. Diese Erfahrung prägt alle unsere weiteren Erfahrungen zum Thema Liebe im weiteren Lebensverlauf.
Durch schicksalhafte Ereignisse und die biografischen Begebenheiten besonders in den Folgen der Weltkriege war es aber so, dass das natürliche Bedürfnis des Kindes nach Liebe, nach Gehaltenwerden, Gesehen- und Gehörtwerden nicht immer vollständig erfüllt werden konnte. Wenn also bildlich gesehen oder auch tatsächlich das Kind mit ausgebreiteten Armen auf die Mutter zu rennt, weil es sich z.B. trösten lassen möchte, da es beim Spielen hingefallen ist, dann wäre es eine Unterbrechung dieser Liebe, wenn die Mutter, bevor das Kind sie erreichen konnte, hinter einer verschlossenen Tür verschwunden ist.

Eine Möglichkeit der emotionalen Heilung besteht darin, dass der Erwachsene innerlich wieder in die Zeit versetzt wird, als die Verletzung in der Vergangenheit geschah. Das wird vom Kind als Schreck und Schock erlebt. In der Sprache der Psychologen heißt das »Trauma«. In der konkreten Situation wäre das vielleicht nicht mal so schlimm, doch kann es sein, dass das Kind diese Erfahrung für sich auf krankmachende Weise verarbeitet, indem neue Glaubenssätze über die Liebe gebildet werden, wie: »Liebe ist gefährlich!« »Wenn ich liebe, werde ich sicher enttäuscht.« »Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden, mit mir stimmt etwas nicht.« »Wenn ich Nähe suche, werde ich bestimmt betrogen, verlassen, hintergangen.« »Ich bin schlecht, deshalb wird mir die Liebe weggenommen, wenn ich sie am meisten brauche.« »Wenn ich liebe, endet das sicher irgendwann in Schmerz.«

Eine Möglichkeit der emotionalen Heilung besteht darin, dass der Erwachsene innerlich wieder in die Zeit versetzt wird, als die Verletzung in der Vergangenheit geschah. Er geht also in ein Kind-Ich-Gefühl zurück (z.B. in Angst, Trauer, Ohnmacht, Hilflosigkeit). Dann hält der Therapeut oder ein Freund die Person körperlich fest in einer innigen Umarmung, stellvertretend für einen Elternteil. Man lässt die Person tief durch den offenen Mund atmen, ohne jedoch einen Ton zu machen. Sie verweilt so lange in der Umarmung, bis der Atem wieder ruhig und ein Zustand des Friedens und der Ausgeglichenheit erreicht ist. Das Atmen dient dazu, dass starke Emotionen und Negativ-Energiewellen den Körper verlassen können, denn jedes Gefühl ist im Körper verankert. Was hier so einfach klingt, hat aber sehr tiefe Auswirkungen, wenn dieses heilende Festhalten richtig durchgeführt wird.

Lucian Loosen, Jg 63, Buchautor (4 Werke), ist Initiator des »EroSpirit-Tantra-Institutes« als bundesweites Netzwerk mit Hauptsitz in Engelskirchen bei Köln. Er ist Begründer der EroSpirit-Methode und der ersten Tantralehrer-Ausbildung Europas (seit 1994) sowie Gründungsmitglied des »Berufsverbandes Deutscher Tantra-Lehrer e.V.«. Vater von vier Töchtern. Von Kindesbeinen an im Yoga aufgewachsen, ist Lucian Tantralehrer in zweiter Generation.