Schweiß am Hals des weißen Vollblutpferdes. Hengst und Reiterin warm und durchblutet vom andauernden Dressurtraben. Zwischen sattem Grün helle Flecken der Nachmittagssonne auf nass-weissem Pferdefell. Noch unbeschlagene Hufe traben durch weichen Sandboden. Der Himmel tiefblau. Die angrenzende, etwas tiefer liegende Koppel saftig grün mit ein paar wohlgeformten, rassigen Stuten, ausnahmslos erfolgreiche Turnierspringerinnen. Diabolo, ein schneeweißer, durchtrainierter Halbstarker, sprühend vor Lebenslust, ein mutiger Entdecker im Reich umliegender Wälder und Wiesen, gerade erst zugeritten von der konsequenten Hand eines ehemaligen Bundeswehr-Reitlehrers und für Ausritte noch nicht freigegeben. Zum ersten Mal unter weicher Frauenhand im Rund des engen Reitplatzes gelenkt, riskiert er einen Blick auf die ihm verwehrte, ruhig grasende Damenwelt (er soll ein Zuchthengst werden, sonst wäre er längst ein schlaffer Wallach, aber das weiß er noch nicht, er ahnt wohl seine Schönheit, auf jeden Fall spürt er seine Kraft), wirft den Kopf stolz nach hinten, als wolle sein Temperament für Sekunden das Gefühl von Zaumzeug und Sporen abschütteln. Fast unbemerkt von der jungen Reiterin, die sich ganz im Einklang mit dem warmen kräftigen Körper des Pferdes wähnt, holen die Beine etwas weiter aus, spannen sich Sehnen und Muskeln.
Dank der Konzentration, die für das Führen eines so jungen und noch ungebrochenen Hengstes, getrennt von der Freiheit nur durch einen niedrigen Holzzaun, nötig ist, spürt die Reiterin unbewusst den heimlichen Willen des Tieres. Sie zieht die Zügel ruckartig fester an, schneidet die Trense so fest ins weiche Gewebe der Mundwinkel des Tieres, dass es aus seinen Tagträumen gerissen, einfach stehen bleibt. Kein Mensch weiß, was in einem solchen Moment im Kopf eines jungen Araberhengstes vor sich geht. Diabolo jedenfalls steht fest mit seinen vier Hufen auf der sandigen Erde, den Kopf zur Stutenkoppel gewendet. Schenkeldruck und Zungenschnalzen seiner Reiterin nimmt er nur mehr aus weiter Entfernung wahr. Jegliche äußerliche Empfindung ist ausgeschaltet, die 60 Kilo auf seinem Rücken, das energischer werdende Drücken und Schieben menschlicher Schenkel – vergessen. Braun sind sie und warm, ruhig sind sie und tief. Sentas Augen unter der schneeweißen Blesse. Stumme Zeugen dieses lächerlichen, eines jungen Hengstes – geschaffen für den freien wilden Galopp über unendliche Wiesen – völlig unwürdigen, gesenkten Kopfes immer im Kreise Trabens? Sentas Augen, etwas dunkler als ihr glänzendes kastanienbraunes Fell, jedoch von der gleichen Farbe wie ihre im lauen Sommerwind wehende dichte Mähne und ihre schlanken, überaus sexy Fesselgelenken gleich über den Hufen. Da, der scharfe Schmerz der Gerte auf der Kuppe, der Druck der menschlichen Schenkel in den Seiten, das Stechen der eisernen Sporen, angelegt nur zur Sicherheit beim ersten Ritt mit diesem temperamentvollen Pferd. Zahm oder wild, ein Mustang oder ein dressierter Clown unter den neugierig blickenden Augen dieser Füchsin – das ist hier die Frage. Und ihr voller Schweif, wärmstes dunkelbraun, dieser Schweif, der Schweifansatz und darunter …
Der wiederkehrende Schmerz der Gerte und der Sporen ist vergessen. Dieser Duft, betörend, lockend, unwiderstehlich. Diabolo steht noch immer fest auf dem Boden des kleines Reitplatzes, seine Augen haben seit Minuten Sentas Blick nicht losgelassen, die Nüstern weiten sich, schnauben, saugen zum ersten Mal in seinem Leben diesen heißen Duft, der von der Koppel herüber weht. Sentas Duft, der Duft einer rossigen Stute. Der Hengst bebt, schnaubt, scharrt mit dem rechten Vorderhuf. Noch fühlt er sich gefangen in menschlichem Leder und Eisen, in der einwirkenden Muskelkraft der jungen Frau im Sattel. Erneut geht ein Beben durch Diabolos Körper, von den Hufen bis zum Stirnschopf, er beginnt nervös zu tänzeln und spürt menschliche Hände sich in seinen Widerrist krallen. Sollte er sich jetzt fügen, hier unter den Augen der Angebeteten weiter im Kreise traben wie eine alte Schindmähre? Oder sollte er einem Kentaur gleich über sein Leben selbst entscheiden?
„Hey, du Maiden, was glotzt du mich so an? Komm hier rüber, sei mein Trakehner und besorg es mir oder trabe weiter als Zelter in deinem sklavischen Getue da oben “, unterbrach Senta laut wiehernd und einen erneuten Duftschwall aussendend Diabolos Gedanken. Die Rosse wehte dank eines günstigen Lüftchens direkt von der Koppel in die weit geöffneten Nüstern des jungen Hengstes. Der Araber flog nach einem kurz entschlossenen scharfen Galopp Pegasus gleich über den niedrigen morschen Holzzaun, der ihn von der Stutenkoppel trennte. Einige Meter vor Senta kam er auf der Stelle tänzelnd zum Stehen – zu allem bereit. „Ich will dein Trakehner sein, wie das edelste aller Pferde“, wieherte er inbrünstig. „ich will dein Mustang sein, ich will sein wie ein wild lebender Hengst in den nordamerikanischen Prärien!“
„Oh ja, Diabolo, ja, sei mein Trakehner, sei mein Mustang…..“ flüsterte Senta neben seinem Ohr, die ganz nah an ihn heran gekommen war und sich nun, den dunkelbraunen Schweif langsam zur Seite schiebend, um 180 Grad zu drehen begann. Da wieder, die stechende Gerte, die garstigen Sporen, die beißende Trense in den noch weichen Mundwinkeln. Der junge Hengst bäumte sich auf, stand auf den Hinterbeinen, wünschte sich laut wiehernd die Freiheit und die Vereinigung mit seiner dunkeläugigen, wohlriechenden Senta, spürte einen reißenden Schmerz und hörte schließlich ein dumpfes Plumpen gefolgt von einem menschlichen Schrei dicht hinter sich.
Die junge Reiterin, mit einem glatten Unterschenkelbruch zur Bewegungslosigkeit verdammt, wurde unfreiwillige Zeugin eines atemberaubenden Liebesschauspiels der Natur.