„Fünf oder sechs junge Frauen mit Schluckauf“ von Oliver Schulz

„Fünf oder sechs junge Frauen mit Schluckauf“
v
on Oliver Schulz

 

Diese Geschichte ist eigentlich gar keine Geschichte. Nichts Großartiges wird passieren. Nicht ein afrikanischer Elefant wird zur Hauptverkehrszeit kopfstehen. Alles dreht sich um ein kleines Detail. Ich will nicht, daß es verloren geht. Mehr steckt nicht dahinter. Und möglicherweise ist es euch schon mal begegnet, und ihr erkennt es wieder, wie einen alten Bekannten, den ihr zufällig auf der Straße trefft und im Vorbeigehen grüßt.

Es waren immer nur junge, hübsche Frauen mit kleinem Busen, bei denen mir dieser Schluckauf aufgefallen ist. Ich meine nicht diesen lauten, aufdringlichen Schluckauf, den wir alle bekommen, wenn wir zuviel trockenen Kuchen essen oder Alkohol trinken, bis die Welt sich in ein dunkles Karussell verwandelt. Ich meine einen leisen, fast schüchternen Schluckauf, der wie aus dem Nichts kommt, kurz hallo sagt, und nach wenigen Minuten wieder verschwindet. Jemand mit ein oder zwei Doktortiteln in der Tasche würde so etwas mit einem Schulterzucken abtun, vielleicht zum nervösen Tick herunterspielen. Für mich aber ist dieser Schluckauf etwas Wunderbares und Fremdes, so wie die Spitzenunterwäsche auf dem Trockenständer im Bad einer guten, platonischen Freundin.

Insgesamt sind es wohl fünf oder sechs Frauen gewesen, an denen mir dieser seltsame Schluckauf aufgefallen ist. Und ich bin mir nicht sicher, ob das nun eine erstaunlich kleine oder erstaunlich große Zahl ist. Allein bei Frauen mit großen Brüsten habe ich diesen Schluckauf nie bemerkt. Obwohl das natürlich nichts heißen muß. Vielleicht schlucken Frauen mit großem Busen einfach nicht auf diese besondere Art, wenn ich in der Nähe bin.

Es ist nicht leicht, von Frauen mit kleinen Brüsten und Schluckauf zu erzählen. Es ist so, als säße ich ihnen allen am Tisch gegenüber, wo sie dicht zusammengedrängt lachen und aufstoßen. Vor meinem Auge verschwimmen ihre Gesichter, bilden ein zauberhaftes, fröhlich hicksendes und gar nicht bedrohliches Ungetüm. Es wird mir unmöglich, sie auseinander zu halten. In meiner Erinnerung werden sie eins. Sie alle sind mittelgroß, haben große, braune Augen, die vielleicht gar nicht braun sind, und langes, dunkles Haar, das glatt, aber irgendwie auch gekräuselt ist.

An den Geruch von einer kann ich mich noch erinnern. Ich küßte sie auf den Mund. Doch eigentlich war sie es, die mich küßte, flüchtig und schnell. Ihr wohliger Duft hat sich mir eingeprägt. Ich mochte sie und ihren Schluckauf. Immer wenn sie aufstieß, hielt sie ihre kleine Hand vor den Mund und schien selbst ganz überrascht von ihrem Schluckauf. Später sah ich sie nur noch ein einziges Mal. Wir küßten uns wieder, und sie verschwand in ein anderes Leben.

Eine hatte Augen wie die Leuchttürme in der Antike. Ich sah sie beim Blues-Festival, als Memphis Slim mit Champion Jack Dupree in die Tasten haute. Die Jungs auf der Bühne wateten im tiefschwarzen Blues, und wir schauten uns bloß an. Ich schob ihr mein letztes Bier und meine Telefonnummer rüber. Sie trank, bekam diesen merkwürdigen Schluckauf, und ich kriegte kein Wort raus. Memphis Slim ist seit zwei Jahren tot, und ich warte noch immer auf ihren Anruf.

Mit einer anderen saß ich im Café. An den Wänden klebten alte Kinoplakate. Sie trank braunen Tequila, sah wunderschön aus und hickste. Ich selbst hielt mich an Rotwein. Es war ein sehr gemütliches Café, eines von denen, wo die Musik nie zu laut ist und ein Gespräch wie von selbst kommt. Aber niemand von uns wollte wirklich reden. Wir lehnten uns zurück, studierten die Kinoplakate, und ihr Schluckauf hüpfte über den Tisch wie ein angeknackster Tischtennisball.

Die Lauteste von allen war auch die Jüngste. Wir verbrachten eine Nacht im Park, sprachen von Gott, Liebe und Sonnenaufgängen. Es kam nichts dabei heraus. Sie war bockig wie ein Muli, und ich fütterte sie mit Möhren. Wenn sie wütend war, drückte mich ihr Schluckauf förmlich an die Wand, auch wenn gar keine da war. Sie zog dann weit weg, in eine andere Stadt. Ich versprach, zu schreiben. Aber das habe ich nie getan.

An die, die es noch gab, ein oder zwei, kann ich mich nicht mehr erinnern. Sie sind flüchtige Schatten geblieben, oder aber ich wollte sie vergessen. Verschwunden sind alle. Es bleibt nur dieses freundlich hicksende Ungetüm in meinem Kopf, das, ich bin mir fast sicher, aus fünf oder sechs jungen Frauen mit kleinen Brüsten besteht, die mein Leben gekreuzt haben.

Oliver Schulz, Jahrgang 1970, geboren in Gelsenkirchen, Lehre als Florist, lebt und arbeitet als Gärtner in Oberhausen. Diverse Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien.

Homepage: