„Zwischen Dichtung und Wahrheit“
von Michael Klarmann
Es gibt einen Pornofilm, da sagt ein Mann zu einer Frau: „Ahh, ich kleb´ dir die Brille zu, ah, ich spritz´ dir ins Gesicht.“ In einem Sexheft stieß ich einst auf den Satz: „Sein Schwanz spritzte ab wie ein Repetiergewehr.“ Sie halten das für übertrieben? I wo, auf einer Pornosite im Internet las ich kürzlich sogar: „Diese Filme sind heiß und hardcore und umfassen sogar Ton. Keine Wartedownloads Stromrecht dieser Filme zu Ihrer Datenbanksuchroutine.“
Es war eine amerikanische Homepage mit deutscher Unterseite. Hinter den gratis einsehbaren Werbeinhalten sollten bizarrer Sex und „Butterartiger Nippel“ lauern. „Butterartiger Nippel“ war auch der Titel jener Homepage, die Surfer mit den Worten empfing: „Dank Für Das Stoppen Durch Hereingekommen. Und Findet Heraus, Warum Wir Sind Die Site des Erwachsenen #1 auf dem Internet. Prüfen Sie Einige Fotos Und Finden Sie Heraus, Was Nach innen Ist.“
Ich dachte darüber nach, ob es sich hier wohl um einen Fake handeln könne, der die Leser mit Sex ködert, ihnen dann aber kulturelle Kost moderner Wortakrobaten der Pop- und Slam-Literatur unterjubelte. Das, was ich weiter zu lesen bekam, bestärkte mich in dieser Auffassung: „Geben Sie Woche / Frei / Bauteile / Geben Sie Tour Frei“. Moderne Lyrik, dachte ich. Avantgarde! Solide abgespeckter Sprachgebrauch!
Interessiert las ich weiter und hatte schon fast die auf der Homepage zu sehenden Bilder vergessen: Nackte Frauen, die einen alles sehen ließen; Frauen mit milchigem Schmier im Gesicht oder auf ihren großen, runden Brüsten; Frauen, denen Männer lange Riemen oder andere Frauen ihre Zungen in die Muschi oder das Poloch steckten… „Wir Haben Genügende Aktivitäten Und Räume, Sie Besetzt Nach innen Zu halten Für Eine Lebenszeit“, las ich. „Wenn Sie Mögen, Was Sie Hier Sehen, Lade Ich Sie Ein, Uns Nach innen Zu verbinden! Geben Sie Uns Einen Versuch, Sie Ist Froh Sie!“
Lange hatte ich keine so gute Brainstorm-Dichtung mehr gelesen. Die Pop-Fraktion unter den Poeten konnte anstellen, was sie wollte. Aber derart prägnant, routiniert und originell mit Worten umgehen konnte sie nur selten. Freilich wurde es noch besser: „Butterartiger Nippel Specials: Heute dienen wir herauf alle Ihre erotic Lieblinge. Wählen Sie Ihren Teller von unserem überhaupt erweiternmenü! Kategorien schließen Verkehr, anales Geschlecht, Mundgeschlecht, bondage, masturbation, Gruppe Geschlecht, Lesbier, interracial und mehr mit ein.“ Es erinnerte an William S. Burroughs oder Allen Ginsberg, an Burroughs‘ Cut-up-Schreibe und Ginsbergs Wort-Stakkatos: Beat-Literatur!
„Exklusive Modelle Hardcore: Die Mädchen am butterartigen Nippel sind exklusive Modelle. Sie finden nicht diese hardcoremodelle auf einem Abbildung Pfosten oder einem Innere ein AVS. Diese Mädchen sind Fachleute und werden Sie weg erhalten!“ Ich pfiff leise vor mich hin. Ich hatte Poetry Slams erlebt, da hatte das Publikum zu solchen Textminiaturen gejubelt und der Dichter einen Preis gewonnen, um später Literaturgroupies abzuschleppen – oder diese ihn. Ich machte mir eine Zigarette an und las neugierig weiter.
„Nude Lebhaftschwätzchen: Sie können mit den Modellen am butterartigen Phasen Nippel plaudern! Es gibt viele unterschiedliche Räume und die Modelle beseitigen ihn allen. Sie sprechen zurück und sie glätten tun, was Sie sie bitten, zu tun. Sein eine sehr erotic Erfahrung.“ Das beeindruckte mich fast noch mehr als alles andere auf der Homepage. Selten genug hatte ich erlebt, wie Dichter Sprache und deren Sinngehalt so aussagekräftig dekonstruiert hatten. Und Germanisten könnten darüber ihr Leben lang grübeln.
Wie auch über folgendes: „Xxx Filme: Bauteile des butterartigen Nippels erhalten unbegrenzten Zugriff zu über 1200 Filmen xxx. Wir Haben Mehr Inhalt Für Weniger Geld Als Jede mögliche Andere Site! Plus empfangen Sie die folgenden Eigenschaften, wenn Sie verbinden: 1. Oberste Qualität 2. Entscheidender Bildschirm Hardcore 3. Nude lebhaftfrauen und Echtzeitschwätzchen.“ Ich seufzte und endlich dämmerte es mir: das war gar keine Literatursite.
Zwangsläufig fragte ich mich: Was ist das nur für eine Welt geworden? Ich begann griesgrämig in meinen Gedanken zu wühlen. Selbst die, grübelte ich, die vorgeben, einem das Wichsen zu erleichtern, verunmöglichten es einem mehr und mehr. Wieder ein Seufzen: Also hatte Vater recht! Früher war alles besser. Aber die Sexfilme, die ich in seinem Schrank einst fand, hatten keinen Ton. Und jenes hin und her, dass Mann und Frau in den Filmchen tätigten, reichte auch gerade einmal zur Stimulation der Phantasie eines 14-Jährigen. Armer Papa!
Heute, so hatte ich es ja vernehmen müssen, „umfassen“ diese Filme „sogar Ton“. Und Männer können dann zu sogenannt nuden Lebhaftfrauen sagen: „Ahh, ich kleb´ dir die Brille zu, ah, ich spritz´ dir ins Gesicht.“ So kann´s also kommen…
Michael Klarmann, Jahrgang 1968, lebt und arbeitet in Aachen. Freischaffender Journalist und Autor, Beiträge u.a. in „die tageszeitung“, „junge Welt“, „Telepolis“, „Die Brücke“, „konkret“, „Freitag“, „Neues Deutschland“ und „Journal der Jugendkulturen“. Redaktioneller Mitarbeiter bei Stadt-, Literatur- und Musikmagazinen. Bis Mitte 2001 freier Redakteur und Kolumnist bei „Regioblick“, einem Internetportal mit regionaler Berichterstattung. (klarmann@bigfoot.de)