"John" von Bettina Andrae

„John“
von Bettina Andrae


Erstes Kapitel

“Ja, uns geht es gut..”, antwortete ich meiner Mutter auf ihre dahin zielende Frage am Telefon.

“John ist bettlägerig wie immer und ich häkle gerade an einem neuen Aschenbecher. Der alte ist nämlich schon so voll, da geht wirklich nichts mehr hinein. Ich glaube, er wird sehr schön. Blau mit Kartoffelmustern. Ich muß nur zusehen, daß die Maschen fein genug geraten.”

“Hm.. Kartoffelmuster, so so. Wer ist eigentlich John? Hast du einen festen Freund? Liebt er dich? Hihi.., nein das war natürlich ein Scherz.”

“Mutter, du mußt gar nicht denken, daß ich dumm bin. Ich weiß schon ganz gut, wie du das meinst. Ja, John Malkovich mag mich und ich mag ihn auch.”

“John Malkovich? Is das nich der dickliche Typ, der so dämlich schielt? Der, von dem du dises häßliche Bild über‘m Herd hängen hast? Kochvorlage, watt..?”

Und dann lachte sie auf sehr vulgäre Weise.

“Ja, John hat eine sehr männliche Figur und den betörendsten Silberblick, den ich kenne. Übrigens hängt er nicht mehr in der Küche, sondern liegt in meinem Bett.”

“Na ist schon gut, dann grüß ihn mir mal schön und rauch nicht so viel”, sagte sie. Und dann sagte sie “Tschüß”. Ich sagte auch “Tschüß”. Aber sie sagte nicht noch einmal Tschüß. Ich sagte aber noch einmal “Tschüß”.

Ich hätte gern noch ein wenig mit ihr geplaudert, wenn sie nicht schon aufgelegt hätte.

Weil ich nun aber so große Lust auf´s Telefonieren hatte, nahm ich mein Taschentelefon und wählte meine Festnetznummer.

Zweites Kapitel

Plötzlich klingelte das Telefon. Verstört schrak ich aus meinen Gedanken hoch und eilte zum Telefon. Vor lauter Verwirrung hielt ich mir allerdings die Sprechmuschel ans Ohr und die Hörmuschel vor den Mund. Genau wie sie es immer in diesen witzigen Filmen machen, wenn jemand verwirrt zum Telefon stürzt. In den Filmen werden dabei jedoch meistens noch allerlei Gegenstände mitgerissen und der Verwirrte verwickelt sich heillos im Telefonkabelgestrüpp, nachdem er auf dem Teppich schon gefährlich ins Straucheln geraten ist. Dann fällt er über einen Blumentopf, der in der vorherigen Einstellung noch ganz woanders stand und spießt sich kopfüber die Augen an der Sukkulentenabart in dem Blumentopf aus. Er schreit und blutet und dann kommt irgendwer.

Alles viel zu irreal!

Mir erging es zum Glück nicht ganz so schlimm. Ich schrie nur immer: “Ja, wer ist da? Hallo, wer ist denn da?”

Niemand meldete sich. In das Taschentelefon in meiner Linken rief ich: “Bettina, kannst du mich hören?” Und dann wieder in die Hörmuschel in meiner Rechten:Mutter, bist du es vielleicht? Hallo, so reden sie doch!”

Aber ich konnte ja wie gesagt nichts hören, da ich den Telefonhörer vollkommen falsch herum hielt. Es war zum Verrücktwerden. Ich war bloß froh, daß John von dem Lärm nicht aufgewacht war. Was hätte er da von mir gedacht? Schließlich liebte er mich für mein sanftes Wesen und nicht zuletzt für meinen kühlen Verstand. Wohl kaum für mein lautes Organ.

“In der Hinsicht habe ich also noch einmal Glück gehabt”, sprach ich zu mir, schaltete mein Taschentelefon aus und knallte den Hörer dezent auf die Gabel. Hierbei fiel mir mein Fehler auf und ich kam nicht umhin, zu schmunzeln.

Nein, was war ich doch für ein Dummerchen. Ich gebe zu, ich empfand eine gewisse Zärtlichkeit für mich selbst dabei.

Drittes Kapitel

Ein mattes Gefühl in den Händen war es, das mich mein Häkelwerk beiseite legen ließ. Und freilich auch der Sexualtrieb, der im Laufe des Tages eine Macht über mich erlangt hatte, gegen die ich nicht mehr ankam und auch nicht ankommen wollte. Ich legte meine Gerätschaften säuberlich an ihren Platz in den Handarbeitskorb, richtete meine Brüste, die mittlerweile ein wenig in Unordnung geraten waren und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Ich ging in die Schlafstube, wobei ich mich um einen gemessenen Schritt bemühte. John mag es nicht so gern, wenn man mir meine Geilheit ansieht. Er liebt es, mich zum Verkehr zu überreden, meine Schamhaftigkeit zu brechen.

Am Bett stehend wischte ich mir unauffällig den Schaum vom Mund, beugte mich zu ihm herunter, fuhr ihm sanft über sein raschelndes Haar und fragte leise: “John mein Liebling, rückst du etwas nach links, ich möchte jetzt auch schlafen.” Dann ließ ich das Satinkleid mit einer beiläufigen Geste von meinem Körper hinabgleiten und legte die Wollsocken über die untere Bettkante, nicht ohne vorher aus ihnen geschlüpft zu sein. Die würden morgen noch mal gehen.

Ich stieg ins Bett, gähnte und zog mir das Federbett über den hungrig bebenden Leib.

Keine halbe Minute mußte ich warten, bis ich Johns kräftige Hand in meinem Nacken spürte. Von dort wanderte sie forsch zu meinen geordneten Brüsten, die ihrerseits ihre Ergriffenheit nur schwer zu verbergen wußten. Das schreckte John aber gottlob nicht ab. Er schob sich mit unkontrollierter Heftigkeit von hinten an mich heran und ich spürte, daß auch er den Verkehr wollte. Nun war der Zeitpunkt gekommen, mich ganz seiner unvergleichlich wohlproportionierten Beleibtheit hinzugeben. Johns Körper verbirgt seine urtümliche Kraft unter einer optimierten Üppigkeit.

Wir liebten uns etliche Male, um danach gemeinsam das Silberne vom Himmel zu blicken und in seeliger Erschöpfung einzuschlafen.

Im Dämmerzustand mußte ich noch einmal kurz und amüsiert an all die törichten Menschen denken, die nicht in der Lage sind, meinen Freund zu akzeptieren.

Sie sagen, ich litte unter Phantasmen. Und sie beleidigen John. Sie behaupten, er wäre ein schlechtgedrucktes Plakat, und ich kaum wiederzuerkennen, seit ich es von der Küchenwand abgenommen und auf mein Kopfkissen geklebt hätte.

Vielleicht ist es der Neid, der ihr krankes Gerede hervorbringt. Ich weiß es nicht.

John übergeht diese Verleumdungen zum Glück geflissentlich. Wir haben damit zu leben gelernt. Morgen ist Sonntag, mein Gott Sonntag, nun ja.