"Katzenliebe" von W. Wiemann

„Katzenliebe“

von W. Wiemann

Ganz in Gedanken und weil ihm an diesem Abend ohne Annegret – sie hatte Spätdienst bei ihrem Sender – auch ein wenig langweilig war und er gerade in den Nachrichten etwas von der Leipziger Buchmesse hörte, hatte er auf seinem Bildschirm das Internet aufgerufen und dort den Suchbegriff „Tiere in der Literatur“ eingegeben. Und während er wartete, baute sich vor dem, was er eigentlich sehen wollte, ein ganz anderes Fenster auf. Wie viele Male zuvor wollte er es einfach ignorieren. Doch dann machte da irgendetwas in seinem Gehirn „klick“ und er schaute etwas genauer hin. Auf einer Couch räkelte sich eine Katze mit unverkennbar weiblichen Attributen. Sie lag in entspannter Seitenlage und aus ihrem weich behaarten Bauch wuchsen ein paar wundervolle Brüste heraus. Die Katze lächelte verlockend und eine Sprechblase fragte ihn „Willst Du Pussy kennen lernen? Dann mach einen Klick auf mich und Du wirst es nicht bereuen!“

Doch nicht diese eindeutige Einladung war es, die ihn zur Maus greifen ließ, nein, es war eher das so aufreizende Wesen dieses menschlichen Tieres oder tierischen Menschens, oder wie immer man das Wesen dort bezeichnen sollte. Auf dem Bildschirm baute sich nun langsam eine ganze zutiefst erotische Katzenseite auf. Die geliebten Küchentiger präsentierten sich da in allerlei eindeutigen menschlichen Positionen und im Outfit eines dieser massenhaft auftretenden Erotik-Magazine – nämlich meist nackt. Erhebt sich natürlich die Frage, ab wann man bei einer Katze das Wort „nackt“ anwenden sollte? Eine Katze mit Strapsen war zu sehen, die Yvonne hieß, eine andere – sie trug den Namen Lola – leckte genüßlich an einem Dildo und grinste ihm frech entgegen. Eine dritte Katze griff nach hinten und betätigte einen unsichtbaren Reißverschluß in ihrem schwarz-weißen Pelz. Das Fell wich links und rechts zur Seite und enthüllte zwei prachtvolle knackige Jungmädchenhinterbacken. Und während sie sich langsam und aufreizend aus ihrem Fell pellte und, ihn dabei unverwandt anlächelnd, eine kleine rote Zungenspitze zwischen den Zähnchen spielen ließ, merkte er auf einmal, dass ihm der Mund ganz trocken geworden war. Er dachte bei sich „Reiss dich zusammen, das ist doch nur eine ganz billige Anmache. Die wollen doch nur dein Geld. Bestimmt kommt gleich die Aufforderung – „Wenn sie weiter zugucken wollen, müssen Sie jetzt Ihre Kontonummer angeben. Wir buchen dann gleich ab“

Außerdem hatte er das doch gar nicht nötig, er, der mit einer so umwerfenden Frau wie Annegret zusammenlebte, die ihm allein durch ihre subtile weibliche Präsenz jeden Gedanken an eine andere Frau vergessen ließ. Annegret war ein Weltereignis in Sachen Sex. Und da verirrte er sich auf dem Computer ausgerechnet in dieses Schmuddelfenster. Verstohlen sah er wieder hin. Keine Zahlungsaufforderung, kein extra Passwort – nichts dergleichen geschah. Statt dessen räkelte sich „Mimi“ – so hieß die Katzenfrau da vor ihm und er dachte noch „Was für ein Zufall, genau wie meine Katze“ – nun splitternackt auf einem Sessel, streckte ihm ihre jungen Glieder entgegen und ihre grünen Katzenaugen sahen ihn unverwandt an. Ja richtig, es waren Katzenaugen, nicht nur in Form und Farbe, nein die nackte Schöne hatte auf ihren Schultern den Kopf einer Katze. Alle anderen tierischen Merkmale aber waren verschwunden – das Fell, die Krallen, die weichen Fußballen – nur der Kopf war immer noch der einer Katze. Sie streckte eine Hand nach ihm aus und ihr Zeigefinger winkte ihn auffordernd zu sich heran. Wie von einer unsichtbaren Kraft gezogen näherte er sein Gesicht dem Bildschirm. Die rote Zungenspitze von Mimi züngelte ihm entgegen, sie lächelte einladend – „Lächeln? – so’n Quatsch, Katzen können doch gar nicht lachen“ dachte ein letzter Teil von ihm noch, da knallte sein Kopf an das harte Glas des Monitors. Gleichzeitig bemerkte er einen Schubs an seiner Wade und hörte von unten herauf ein tiefes, leidenschaftliches Schnurren.

Mimi, seine Katze, hatte ihre tägliche Schmusephase und tat ihre Liebe zu ihm dadurch kund, dass sie ihm, den Schwanz hoch erhoben, um die Beine strich, den Kopf an seinen Hausschuhen rieb und ihn unablässig mit der Nase stupste. Er sah nach unten und griff gewohnheitsgemäß nach ihrem Schwanz, um ihn durch die Hand gleiten zu lassen. Er wusste, wie gern sie das hatte. Ihr Katzengesicht hob sich ihm entgegen, sie kniff die Augen verschwörerisch zu und er hatte auf einmal den Eindruck, dass seine Mimi mit der Mimi auf dem Bildschirm identisch sei. Misstrauisch schaute er zur der virtuellen Katze auf dem Bildschirm und registrierte, dass sie ihm ebenso verschwörerisch zuzwinkerte. Die beiden Katzengesichter glichen sich wie ein Ei dem anderen. „Das ist doch nicht möglich!“ dachte er, leicht entnervt. Was hatte seine Katze, seine Mimi, mit der Katze dort auf dem Bildschirm zu tun? Eine leichte Wut stieg in ihm auf und bevor sie sich steigern konnte, schaltete er kurzerhand den Computer aus. Im Verschwinden des Katzengesichtes meinte er noch so etwas wie ein höhnischen Grinsen zu erkennen. Er widmete sich der schmusenden realen Katze an seinen Beinen und merkte nach kurzer Zeit, dass die stumme Zwiesprache mit dem Tier ihn wieder beruhigte. „Sicher nur ein ganz dummer Zufall!“ beruhigte er sich selbst, gab der Katze ihr gefordertes Futter und stellte fest, dass sie sich ganz normal – also katzengemäß – verhielt.

Als er dann nach einem mässig aufregenden TV-Krimi müde ins Bett kroch und nach ein paar gelesenen Buchseiten das Licht ausknipste, hörte er ein leises Scharren an der Tür. Sicher die Mimi, dachte er und hatte nichts dagegen, das sie zu seinen Füssen auf der Bettdecke schlafen sollte. Sie hatte das in der Vergangenheit schon sehr oft gemacht und ihr gleichmässiges Schnurren war zudem eine wunderbare Einschlafhilfe. Außerdem würde Annegret sie dann, wenn sie kam, schon wieder nach draußen in ihr Körbchen befördern. Sie hatte – im Gegensatz zu ihm – für Katzen nichts übrig. Und war zudem auch noch allergisch gegen die Haare, die Mimi überall in der Wohnung verlor. Doch gerade, weil Annegret nicht da war, sehnte er sich auf einmal nach dem warmen Körper seiner Katze, stand also noch mal auf, öffnete die Tür einen Spalt und liess das ungeduldig drängelnde Tier ins Zimmer. Mimi sprang sofort auf das Bett und begann sich an dessen Fussende eine Lagerstatt zu trampeln. Alles wie immer! Beruhigt wollte er schon das Licht ausknipsen als er plötzlich feststellte, dass seine Mimi, von ihm anscheinend unbemerkt, in der letzten Zeit ziemlich gewachsen war. Komisch, dachte er, habe ich doch gar nicht mitbekommen. Aber sie war ja noch jung und da gehörte es zur Normalität, dass man wuchs. Also knipste er den Schalter herunter und versuchte einzuschlafen. Eine Weile bemerkte er noch ihre Suche nach der richtigen Schlafposition, dann döste er langsam hinüber. Eine heftige Bewegung neben ihm weckte ihn wieder auf. Seine Hand suchte den Körper von Annegret, denn die war sicherlich nach Hause gekommen, hatte sich – um ihn nicht zu stören – ganz bestimmt wieder in der Stube ausgezogen und lag nun neben ihm. Seine Finger stießen auf nackte, weiche Haut, eine knubblige Brustwarze schob sich zwischen seinen Daumen und den Zeigefinger, ein Bein drängelte sich zu ihm herüber und eine Hand tastete an seinem Oberschenkel hinab, bis sie auf seine unruhig und hart gewordene Mitte traf. Eigentlich schliefen sie selten miteinander, wenn sie vom Spätdienst kam, doch heute war es irgendwie anders. Sie roch anders, viel herber als sonst, irgendwie animalischer und aufreizender als er das von ihr gewöhnt war. Und sie hatte die Initiative ergriffen. Also, dachte er sich – nun vollends wach – warum diese einmalige Gelegenheit verstreichen lassen. Er hob die Bettdecke an, um zu ihr hinüberzukriechen, doch Annegret kam ihm zuvor. Ihr warmer, weicher Körper drängte ihn zurück, bis er auf dem Rücken lag, spitze kleine Zähne knabberten an seinen Ohren und eine flinke Zunge leckte über seine Brustwarzen und seinen Bauch. Dann richtetet sie sich über ihm auf, ihre Hand griff nach unten und mit einem befreienden Stöhnen nahm sie ihn in sich auf. Er griff nach ihren Brüsten, die sich ihm von einem milchweißen Mondstrahl übergossen darboten, bewunderte die Ausmaße dieser weichen Hügel und genoß Annegrets sanft schaukelnde Bewegungen. Als er endlich in ihr kam, gab sie einen seltsam klagenden Laut von sich und krallte ihre spitzen Fingernägel in seine Arme. Spitze Fingernägel? Moment mal, wieso spitze Fingernägel? – dachte er. Annegret war doch ein Gegner solcher „Krallen“ wie sie sie immer nannte. Nur um dem geforderten Outfit in ihrem Sender zu entsprechen, hatte sie sich ein paar Aufsteckfingernägel besorgt, die sie aber zu Hause immer als erstes abmachte. Noch bevor sie den Mantel auszog. Wieso also hatte sie das heute vergessen? Inzwischen war sie wieder auf ihre Seite des Bettes gerückt. Und schlief anscheinend schon, denn er hörte leise Atemgeräusche, ähnlich einem Schnurren. Schnurren? Plötzlich war er hellwach. Versuchte im Dunkeln die Konturen unter der Bettdecke neben sich auszumachen. Seine Finger tasteten langsam hinüber und griffen auf einmal in weiches Fell. Neben ihm im Bett – auf dem Kopfkissen – lag Mimi. Keine Annegret! Erschrocken betätigte er den Lichtschalter, hoffte, dass Annegret vielleicht ganz an den gegenüberliegenden Rand ihres Bettes gerutscht war. Doch es war wirklich nur seine Katze, sie räkelte sich faul und schnurrend, ihre grünen ovalen Augen sahen ihn zufrieden an, dann riß sie ihr Maul auf, zeigte spitze Zähne und eine rote Zunge und gähnte langanhaltend.

Fassungslos sah er auf das Tier hinunter. Wer war das gerade bei ihm im Bett gewesen? Mit wem hatte er geschlafen? So gegenwärtig, wie er das erlebt hatte, konnte das doch kein Traum gewesen sein. Verstohlen wanderten seine Augen durch das Zimmer – nirgendwo ein verräterisches Kleidungsstück, kein BH, kein Slip… nichts! Keine Annegret, keine andere Frau. Langsam kam sein Puls wieder auf Normalfrequenz. Er beschloß bei sich, dass es doch ein Traum gewesen sei. Männer träumen halt manchmal von solchen Dingen, was ist schon dabei, tröstete er sich selbst? Mit einem kleinen Rest von Unruhe schlief er endlich ein – und wachte erst wieder auf, als Kaffeeduft durch die Wohnung zog und Annegret ihn mit einem Kuß an den Frühstückstisch lockte. Als sie sich gegenübersaßen, sie ihn anlächelte und ihm Kaffee eingoß, da war alles wieder in Ordnung. Mimi war draußen, von Annegret aus der Küche verbannt. Er sah sie an, sie sah ihn an – und beide lächelten. Dann bekamen Annegrets Augen plötzlich einen grüblerischen Ausdruck. Sie sah ihn aufmerksamer an, ihre Finger griffen nach ihm und mit einem „Was hast du denn da? zupfte sie ihm mit spitzen Fingern etwas aus der Mundgegend. „Du hast wohl mit deiner Katze geschlafen?“ lachte sie und warf ein graues Schnurrhaar in den Mülleimer. Er konnte wirklich nicht verhindern, dass er puterrot wurde. Eines aber nahm er sich in dieser Sekunde vor. Mit dem Suchbegriff „Tiere in der Literatur“ würde er seinen Computer nie wieder füttern.