Rezension: Nacktbadestrand

Elfriede ist 79 Jahre alt und leidet seit Beginn ihres alleinigen Rentendaseins zunehmend an Schlafstörungen, bis sie eines Tages einen Arzt konsultiert und mehr als verwundert ist, dass ihr jener nicht einfach -wie gedacht- ein Medikament verschreibt, sondern ihr offen dazu rät, sich einen Liebhaber zu suchen.
Erst ist sie mit diesem Rat etwas überfordert, doch nach kurzer Zeit findet sie diesen Gedanken gar nicht mehr so abwegig. Sie veröffentlicht kurzerhand und entschlossen eine Kontaktanzeige in einem lokalen Anzeigenblatt. Eine Kontaktanzeige in der es nicht um Romantik geht, sondern die offen darlegt was sie wirklich sucht: Sex. Die Resonanz zeigt ihr schnell, dass es wirklich Männer gibt, die sie trotz -oder gerade wegen- ihres Lebensalters kennenlernen möchten. Der Datingmarathon und die Suche nach dem Heilmittel beginnt.

Stolpert sie zu Beginn der Aufzeichnungen noch sehr naiv in manches Abenteuer, so merkt man im Verlauf, dass sie schnell dazulernt. Nicht nur im Umgang mit den Herren stärkt sie ihr Selbstbewusstsein, sondern vor allem in Bezug auf ihre eigenen Erwartungen, sowie ihre sexuellen Wünsche. Sexuelle Wünsche die in ihrer Generation nicht selbstverständlich sind und auch nie waren. Denn die Erlebnisse ihrer Vergangenheit sind alles andere, als geprägt von Befriedigung oder einem gegenseitigem Einvernehmen, sondern gleichen viel mehr einem Müssen und das leider nicht selten ohne den Einfluss von Gewalt. Sie durch- und überlebt 2 Ehen, zieht am Ende 3 Söhne alleine groß und ehe sie sich einmal umsieht, sind 40 Lebensjahre verflogen. 40 sexlose Lebensjahre. Eine Tatsache, die es fortan zu ändern gilt.

Sie erzählt frei über Sexabenteuer mit Männern verschiedener Generationen, deren altersbedingte Vor- & Nachteile und lässt den Leser an ihrer eigene Scham über so manche, für sie sehr überraschende, Praktiken und Neigungen ihrer Liebhaber teilhaben. Manche Szenen beschriebt sie sehr detailgetreu, andere schneidet sie nur an. Amüsant, provokant und manchmal ekelerregend ehrlich. In kleinen Pointen erinnert sie mit Humor an die Tatsache, das man fern der 60 Lenze, auch bei der schönsten Nebensache der Welt, den körperlichen Verfall zu spüren bekommt, sei es durch begleitenden Hüftschmerz oder die schnell beginnende Kurzatmigkeit beim Koitus.

In Zwischenpassagen schildert sie offen erotische, unausgelebte Phantasien, in denen immer wieder Bruchstücke & Gedanken ihrer Vergangenheit einfließen. Ebenso befinden sich in diesem Buch wiederkehrend und in unregelmäßigen Abständen Portraitbilder der Autorin. Abbildungen die sie in normalen Alltagssituationen zeigen, wie zum Bespiel beim Kartoffeln schälen oder beim einem Spaziergang. Zugegeben, anfangs irritieren diese Fotos etwas, jedoch eröffnet sich im Leseverlauf schnell der Sinn, dass jene Bilder notwendig sind um sich immer wieder bewusst zu machen, dass diese Zeilen und Sehnsüchte niemand schreibt der inmitten seiner sexuellen Blüte steht, sondern aus dem Stift einer rüstige Rentnerin stammen.

Auch wenn das Cover des Buches an Charlotte Roches Feuchtgebiete erinnert: wer hier nach revolutionären Pornoszenen oder außergewöhnliche Sexpraktiken sucht, der wird auf diesen 188 Seiten sicher enttäuscht, denn es erzählt allein auf autobiografische Weise, wie es ist, wenn man jenseits der Jugendjahre Sex zu leben und zu lieben lernt. Kein literarisches Meisterwerk sondern eine angenehm amüsante Lektüre, die offenherzig die Dinge beim Namen nennt und beschreibt wie es ist, wenn man aus einem 40-jährigen Dornröschenschlaf erwacht, um den Spätherbst & die Lust des Lebens zu genießen. ‚

„Ich hatte Lust auf neue Abenteuer. Es musste ja nicht in alle Ewigkeit sein. So lange wie mein Leben noch dauerte, würde mir schon reichen.“

Bewertung:

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Rezensentin: Anna V. aus H.