Schlechter Sex? Man gewöhnt sich dran…

Viele Menschen sind mit ihrem Sex nicht zufrieden. Doch etwas daran ändern tun die wenigsten. Warum eigentlich? Eine mögliche Antwort auf diese Frage gibt Yella Cremer, Sexcoach aus Berlin:

„Ich vergleiche Sex gerne mit Essen: es gibt Fast Food und es gibt Gourmet Essen, es gibt viele verschiedene Länder und viele verschiedene Ideen, was gesund ist und was nicht. Einige davon finde ich überzeugender, andere nicht. So würde wahrscheinlich kaum jemand behaupten, das Essen, das hauptsächlich aus Zucker, weißem Mehl und künstlichen Zusatzstoffen besteht gesund sei, und ebenfalls würde kaum jemand behaupte, das es gesundheitlich bedenklich sei, frisches Gemüse zu essen.

Mit Sex scheint es mir so, als wäre unsere Gesellschaft an Fast Food angepasst, und der Vergleich ist gar nicht so weit hergeholt: Studien sagen, dass die durchschnittliche Dauer der Penetration bei 2,5 Minuten liegt. Man könnte also von “Fast Sex” sprechen. Die meisten Männer können in dieser kurzen Zeit einen Orgasmus haben, die meisten Frauen nicht. Daher wird in vielen Ratgebern immer wieder die Wichtigkeit des Vorspiels betont, eine Zeit sexueller Stimulation, die auch der Frau einen Orgasmus bescheren soll. Wenn ich bei dem Vergleich mit dem Essen bleibe, kommt mir das so, wie die lieblos zusammen gemischt “gemischte Salatbeilage” vor. Oder so wie die amerikanischen Schulbehörden, die, um der Anforderung nach mindestens 2 Gemüsesorten im Schulessen, einfach Ketchup zu einem Gemüse erklärt haben.

Aber warum ist das so? Warum leben Menschen damit, das ihr Sexleben so inspiriert wie ein Big Mac ist, so labberig wie übrig gebliebene Pommes? Sicher, Fast Food ist besser als nichts zu essen und es gibt viele Gründe, warum kaum jemand jeden Tag Gourmet Essen auf dem Tisch stehen hat: Zeit, Geld, Kochkunst um einige zu nennen.

Doch etwas dazwischen wäre doch prima, oder?
Ich stelle in meiner Arbeit immer wieder fest, dass die meisten Menschen sich schämen. Und zwar schämen, nicht weil Sex ihnen so peinlich ist, sondern schämen, weil sie denken, es wäre ihre Schuld, mit ihnen würde etwas nicht stimmen wenn ihr Sex nicht hollywoodmässig leidenschaftlich und romantisch ist. Sie fühlen sich falsch, zu hässlich, zu alt, zu dick, zu ungeschickt, haben die falschen Wünsche oder fühlen das falsche. Und in dieser Scham bleiben viele Menschen lange stecken, bevor sie nach einem Kochbuch suchen oder nach besseren Zutaten für ihren Gourmetsex. Warum ist das so? Dazu müssen wir etwas herauszoomen und auf die Gesellschaft als Ganzes und auf den Menschen als Ganzen gucken. Wir Menschen sind immer die Summe unsere Erfahrungen und wir leben im Kontext einer Gesellschaft, beides hat einen großen Einfluss darauf, wie wir uns aktuell verhalten, was wir fühlen und wie wir denken.
Wenn wir den Mensch als Ganzes betrachten müssen wir etwas rückwärts gehen in die Vergangenheit. Oft bestimmen unsere ersten Erfahrungen zu einem Thema unsere Einstellung und damit unser Handeln. Diese Erfahrungen liegen oft in der frühen Kindheit und daher leider auch im Unbewussten, da wir uns nicht mehr bewusst daran erinnern. Als Kinder waren wir sehr viel beeinflussbarer als wir es heute sind und haben meistens die ausgesprochenen oder unausgesprochen vermittelten Wahrheiten unserer Eltern oder der wichtigen Bezugspersonen ungefragt übernommen. Wir hatten keine andere Chance: wir waren vollkommen abhängig von ihrer Fürsorge und hatten zudem wenig Vergleich.
Aus diesen Wahrheiten entsteht im Laufe der Jahre unsere Welt: Wir sehen die Welt durch diese Brille. Fakt ist: Wenn wir uns nicht bewusst mit diesen Wahrheiten beschäftigen, bleiben sie meistens so bis an unser Lebensende. Und weil wir diese Brille unser ganzes Leben lang tragen wissen wir meistens nicht einmal mehr, dass wir sie tragen: “So ist es halt”.

Was haben uns unsere Eltern denn über Sex vermittelt? Meistens waren es keine sehr positiven Botschaften wie: “Probiere dich aus und hab Spaß”, “Dein Körper ist genau richtig so, wie er ist und Sex ist ein natürlicher Ausdruck”. Hier kommt der Kontext ins Spiel: Wir leben nicht in einer sehr sexfreundlichen Gesellschaft. Sicher, es gibt ganz viel Sex zu sehen, wir sind freier als viele andere Länder. Trotzdem wird Sex ganz überwiegend vermarktet und kommerzialisiert: Wenn Du dies kaufst, bist Du sexy. Frauen sind nie schön genug, Männer nie potent genug. Auch im Bereich der Sexualität gilt das „besser, weiter, schneller, größer“ und erzeugt so entsprechend viel Leistungs- und Erwartungsdruck. Entspannung, Scheitern, Lernen? Das kommt eher selten vor.

Mit diesem ganzen Rucksack von Erwartungen treffen sich jetzt Menschen, die miteinander Sex haben wollen. Und wenn der Sex nicht die Erwartungen erfüllt, tut es weh. Dieses Weh-Tun wird verdrängt, es erzeugt Scham und Angst vorm Scheitern, weil wir wenig Vorbilder haben, wie wir lernen können. Und wenn wir keinen Weg kennen, es besser zu machen dann drücken wir lieber beide Augen zu. Unsere Gesellschaft hat viele Vorbilder, wie es “Sex richtig” ist, aber nicht, wie wir es lernen können. So etwas wie Kochbücher für Sex werden den Menschen nicht in die Hand gedrückt.

Dabei gibt es sie, die Kochbücher für guten Sex! Was passiert, wenn Du das Kochbuch aufschlägst und warum nicht jedes Gourmetgericht beim ersten Versuch gelingt, schreibe ich im nächsten Blogbeitrag.“

yellaYella Cremer ist Sexexpertin und Autorin. Ihr größtes Geschenk an Männer und Frauen ist ihr sexfreundlicher Raum, der jeden verwandelt, der ihn betritt. In ihrer offenen, direkten und erfrischenden Art sendet sie unmerklich eine tiefe Erlaubnis an jedes sexuelle Wesen aus, genauso sein zu dürfen wie es ist.

Yella’s Vision ist eine Welt, in der Menschen ihre eigene Sexualität in ihren Facetten annehmen, frei gestalten, hingebend genießen und mit Bewusstsein ausleben. Gemäß ihrem Motto »Guter Sex lässt sich lernen« unterstützt sie Menschen dabei, ihren ganz persönlichen Zugang zur Sexualität und Intimität zu finden und zu vertiefen. www.lovebase.com