Das Symbol der Liebe und der aufrechte Gang
Das Herz, dieses weltweit so weit verbreitete Symbol der Liebe, ist nicht etwa eine stilisierte Abbildung des organischen Herzens. Es stammt auch nicht vom Feigenblatt ab, wie oft behauptet wird (Feigen haben eher spitze Blätter und sind grün), sondern es ist eine stilisierte Abbildung der weiblichen Genitalien.
Wow, das sitzt. Unser Symbol für Liebe ist nicht etwa ein Bild unserer Kreislaufpumpe oder – etwas weniger anatomisch gedacht – unseres Kitschchakras, sondern ein Bild der Vulva. Es ist ein Bild der Stelle, von der wir alle herkommen. Und um dem noch eins drauf zu setzen: Es ist ein Bild dieser wunderschönen Stelle, unserer Urheimat, nicht wie sie sich von vorne zeigt, wenn die Frau sich uns zuwendet, sondern so, wie man sie von hinten sieht, vor allem dann, wenn die Frau sich bückt.
So sahen unsere männlichen Vorfahren ihre weiblichen Mitmenschen, bevor sie sich zum aufrechten Gang bequemten: zwei wunderschöne Rundungen, dazwischen ein Spalt, der sich heute in der nach unten spitz zulaufenden Herzform wiederfindet. Und wenn sich zwischen den beiden Rundungen eine rötlich gefärbte Spalte öffnete, signalisierte das unseren Vorfahren: Sie will! Daher die Farbe rot für das Herz, wie es heute über alle Kontinente hinweg die Poesiealben schmückt, ebenso wie Geschenkverpackungen, Bekenner T-Shirts (I ♥ NY) und das Ende der Briefe, die wir am Valentinstag verschicken.
Das transkulturell überall verstandene und akzeptierte Symbol für die Liebe ist eigentlich ein Sexsymbol. Und zwar nicht so eines wie das Zepter der Könige oder der Shivalingam der Hindu-Religion ein Symbol der Dominanz des Mannes, sondern es ist ein Symbol aus der Zeit vor dem Patriarchat. Zivilisation hin, Kultur her, unter der Oberfläche unseres konventionellen Benehmens, das den Frauen hier kurze Röcke und Bikinis empfiehlt und ihnen dort Burkas vorschreibt, stecken die Jahrtausende und Jahrmillionen, in denen wir zu denen wurden, die wir heute sind.
Zurück zu den Rundungen. Um deren erotische Bedeutung zu verstehen, muss ich ein bisschen weiter ausholen. Zwei so schöne, zwillingshafte Rundungen wie das Herzsymbol sie aufweist, hat die Frau ja nicht nur einmal, sondern – den Göttern sei’s gedankt – gleich zweimal. Das von vorne so gut sichtbare Zwillingspaar besang schon Salomo im Hohelied der christlichen Bibel und des jüdischen Tanach: „Deine beiden Brüste sind wie zwei Kitze, Zwillinge der Gazelle, die in den Lilien weiden“.
Diese Rundungen erfreuen uns, so weit, so gut. Aber wozu sind sie da, außer uns zu erfreuen? Was die so schön geformten Pobacken anbelangt, klar, das ist die Wölbung des stärksten Muskels im Menschen, der den Oberschenkel zu bewegen hat. Aber was haben diese Wölbungen auf der weiblichen Brust zu suchen? Was macht es für einen Sinn, dort einen Haufen Bindegewebe mit sich zu herumzuschleppen? Wer Frauen beim Sport zugesehen hat, mag sich das schon des öfteren gefragt haben. Behindert sie das nicht? Das Witzige ist nämlich, dass diese Wölbungen für die Kinder, die dort saugen wollen, überhaupt keinen Sinn machen. Mit den Milchdrüsen jedenfalls haben sie nichts zu tun – für die Fähigkeit der Frau dem Kind Milch zu geben sind diese schönen Rundungen nur ein überflüssiges Beiwerk. Dass wir Männer sie schön finden, ist klar, aber warum finden wir gerade solche Rundungen schön?
Hier ist die Antwort der Verhaltensforscher: Die Rundungen der weiblichen Brust rühren stammesgeschichtlich von den Rundungen ihres Hinterteils her. Als unsere Vorfahren sich aufrichteten, damals in der Savanne, vor ungefähr vier Millionen Jahren, sahen die Geschlechter sich bei der Begegnung nun häufiger von vorne. Da hatten die Frauen einen Vorteil, die das, was der Mann so sehr liebte – die Rundungen ihres Hinterteils – auch vorne aufzuweisen hatten. So hat sich die Form der weiblichen Brüste evolutionsgeschichtlich entwickelt. Sie stammt aus derselben Quelle wie die Form des Herzsymbols. Dessen heutige Bedeutung ist Liebe; seine Wurzel aber ist eine Form, die dem Mann signalisierte: Hier gibt es Sex!
Die Frauen locken nicht nur mit der Schönheit ihrer Rundungen. Sie locken auch mit ihren Augen und ihrer Gestik, und mit den Stellungen ihrer Beine inszenieren sie die Pforte ins Innere der Göttin. So wie über die Jahrtausende die Architekten der sakralen Bauten deren Eingang gestalteten mit Linien, die den Weg ins Heiligtum wiesen, so weisen insbesondere die Pforten der gotischen Kathedralen mit ihrer spitzbögigen Tür oft eine Mandorla-Form auf – das uralte Symbol der Pussy, das schon in der vorgotischen, der romanischen Zeit eine so große Rolle spielte. Über dieser (halben) Mandorla zeigten die Kathedralen mit der Rosette oft ein weiteres Symbol einer Pforte ins Innere. In dieser Reihenfolge (oben die Rosette, unten die Mandorla oder eine oben runde, längliche Öffnung) ist das auch wieder der Blick von hinten auf den Ort, der uns Männer an einer Frau am meisten anzieht. Die Kunstgeschichte und Architektur holt sich ihre Formen auch im sakralen Bereich eben nicht vom Himmel herunter, sondern findet sie bei uns Menschen, auf der Erde. Und zwar dort, wo die Formen am stärksten emotionsgeladen sind. So gestalten wir das Heilige gerne mit Formen, die wir aus dem Intimbereich kennen, denn auch das Heilige ist intim, es berührt uns im Innersten.
Die Frauen werden über die Herkunft dieser Formen vermutlich keine Vorträge halten und kluge Schriften verfassen können. Macht nichts, es gibt Wichtigeres. Wertvoller als solche akademischen Herleitungen ist das Wissen ihrer Anwendung. Frauen wissen, wie man das, was Männer seit Jahrmillionen an Frauen anzieht, praktisch anwendet. Sie wissen wie man uns lockt. Sie spüren es, sie haben es im Blut, und sie spielen damit – mal mehr (der Vamp), mal weniger bewusst (die Unschuldige).
Gut, dass die Zeit vorbei ist, in der die abendländische Kunst, angefangen von den Statuen des antiken Griechenlandes bis ins 19. Jahrhundert, ihre Frauen ohne Vulva zeigte. Jetzt dürfen sie sie zeigen, und wir dürfen schauen. Die unter uns, die sich dabei daran erinnern, wo das heute weltweit anerkannte Symbol der Liebe seine Wurzeln hat, werden dann vielleicht noch mehr Achtung haben vor dieser Pforte ins Innere, diesem »Ursprung der Welt«, und nicht mehr so leicht in körperlose, sexlose Kitschwelten abdriften.
Das universelle Symbol der Liebe ist kein Stab, so wie das schatullenlose Zepter der Könige. Es ist auch klein Klöppel, der die Glocke zum Klingen bringt – der schwingt ja immerhin in einem runden Gefäß. Es ist eine Form mit zwei Rundungen und einer Spalte – wie einladend!
Vielen Dank an Wolf Schneider, Herausgeber der Zeitschrift Connection und Connection Tantra