„Eros auf den Sex zu reduzieren, zieht das Salz aus der Suppe des Lebens und versalzt uns zugleich den Sex selbst“

Ein Gespräch mit Saleem Matthias Riek, über den neuen alten Newsletter der Connection, seine neue Seite Tantranetz und wie er die Entwicklung von Tantra in den letzten Jahren einschätzt.


Nachdem sich der Herausgeber der Connection nach 30 mühevollen Jahren entschieden hat, die Printausgabe einzustellen, hat der Tantralehrer und Buchautor Saleem Matthias Riek unter anderem zusammen mit dem Gründer des Instituts „Bewusster leben und lieben“ und der Leiterin des „BeFree Tantra Institut“ Anfang 2016 Tantranetz ins Leben gerufen. Tantranetz unterstützt die Information, den Austausch und die Vernetzung aller Interessierten rund um die Themen Liebe, Erotik, Sexualität, Partnerschaft, undogmatische Spiritualität und Tantra. Gleichzeitig hat er den ehemaligen Newsletter der Connection übernommen, welcher in Zukunft über Tantranetz veröffentlicht wird.

Hallo Saleem, erzähl doch kurz, was ihr bei Tantranetz so macht und wofür euer Blog steht.
Hallo! Tantranetz entstand aus der Idee, tantrische Schulen und Aktivitäten besser zu vernetzen, für Anregung und Austausch zu sorgen und auch kontroverse Themen rund um Liebe, Sexualität, Beziehung und Spiritualität für eine interessierte Öffentlichkeit transparent zu besprechen.
Dafür geben wir mehrmals im Jahr einen Newsletter heraus, dessen Beiträge jetzt neu auf einer WordPress-Plattform online stehen, sodass sie individuell kommentiert werden können. Wir wünschen uns keine kommunikative Einbahnstraße, sondern möchten im Austausch mit Leserinnen und Lesern auch selbst zu neuen Sichtweisen inspiriert werden. Eine der Wortbedeutung von Tantra ist verweben, vernetzen, insofern transportiert die gewählte Form ebenfalls den Inhalt.
Unser Blog steht für eine undogmatische Ermutigung, sich mit tantrischen Erfahrungen und Lehren zu befassen. Wir sind nicht im Besitz irgendeiner „reinen Lehre“ und grenzen uns von derartigen Ansprüchen ab. Wir setzen uns dafür ein, dass Tantra in der öffentlichen Wahrnehmung differenzierter betrachtet wird, denn es gibt arg viele Vorurteile, es tummeln sich unter diesem Begriff aber auch so manche Zwielichtigkeiten.
Uns ist in unserer Seminararbeit – aber auch in diesem Blog – der Respekt für individuelle Grenzen wichtig, gerade bei den sehr intimen Themen, mit denen wir zu tun haben, besteht sonst die Gefahr von Retraumatisierung. Dem begegnen wir nicht durch rigide Vorschriften und Moralvorstellungen, sondern durch die Einladung zum öffentlichen Austausch. Und wenn dieser sich dann auch noch erotisch knisternd gestaltet, freut uns das besonders.

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Saleem Matthias Riek neustes Buch. Hier rezensiert bei erosa.de

Wie kommt es, dass ihr jetzt den Newsletter von der Connection übernommen habt und rausgebt?
Mit Sugata, dem langjährigen Herausgeber der der Zeitschrift Connection, verbindet mich sowohl eine Freundschaft als auch unsere ähnlich weltoffene, bodenständige und reflexionsbereite Perspektive auf Spiritualität. Für die Connection und ihre Tantraspecials habe ich in 20 Jahren mehr als 50 Artikel beigesteuert (woraus zwei meiner Bücher entstanden sind, zuletzt das auf erosa.de rezensierte Buch „Mysterien des Lebens“). Insofern war ich auf Sugatas Nachfrage hin gerne bereit, den Tantra-Newsletter der Connection weiterzuführen, nachdem die Printausgabe eingestellt wurde, allerdings nicht allein, sondern in Zusammenarbeit mit KollegInnen wie Regina Heckert und Peter Kammermeier. Ich liebe es, über den eigenen Tellerrand zu schauen.

Wie oft wird der Newsletter erscheinen?
Der Tantranetz-Newsletter erscheint mehrmals im Jahr zu einem ausgewählten Themenschwerpunkt mit  Beiträgen der HerausgeberInnen und einer Reihe von Gastautorinnen und -Autorinnen. Das Tantanetz befindet sich noch im Aufbau. Eine Kooperation mit weiteren Autoren, Künstlern, Seminanranbietern und Interessierten ist sehr willkommen. Wer Interesse hat, kann sich gerne melden. Der aktuelle Septembernewsletter hat den Schwerpunkt „Tantrische Sexualität.“

Wie hat sich deiner Meinung nach die Tantraszene in den letzten Jahren in Deutschland entwickelt und verändert?
Früher stand Tantra im Westen vor allem für sexuelle Befreiung. Endlich war es nicht nur okay, ein sexuelles Wesen zu sein, sondern die Kultivierung des Eros wurde sogar als hilfreich für die innere Entwicklung und spirituelle Reifung angesehen. Da bekam nicht nur ich glänzende Augen. In Zeiten der Übersexualisierung bei gleichzeitiger Orientierungslosigkeit, was uns wirklich tief im Innern erfüllt und befriedigt, ist der Aspekt der Befreiung in den Hintergrund getreten, das Bedürfnis nach Achtsamkeit und sinnvoller Integration von Sex, Herz und Bindung wird wichtiger. Zugleich verengt sich leider die öffentliche Wahrnehmung von Tantra auf die allerorten boomenden Angebote von Tantramassage. Es gibt hochprofessionelle und heilsame Tantramassage-Institute, aber eben auch solche, die Tantra als reinen PR-Gag für sich nutzen. Tantra geht weit über Massage hinaus und beinhaltet eine annehmende, integrative Haltung dem Leben gegenüber, die unserer Kultur sehr gut täte. Wenn da nicht die Vorurteile wären …

Hat Tantra mittlerweile in der Gesellschaft eigentlich eine höhere Akzeptanz erreicht? Gibt es da Unterschiede zwischen Männern und Frauen?
Wahrscheinlich haben die meisten Menschen schon mal von Tantra gehört, aber dem Begriff haftet für viele wohl doch noch etwas Anrüchiges an, und zwar auf zweierlei Weise. Einerseits ist die sexpositive Haltung von Tantra manchem suspekt, anderseits aber auch die spirituelle Weitsicht des Tantra, vielleicht auch die indische Herkunft. Die Vorurteile reichen dementsprechend von Swingerclub mit Mantragesängen bis zu Sexsekten mit Gehirnwäsche. Kritiker bemängeln häufig mangelnde therapeutische Kompetenz von Seminarleitern, die sicher nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, aber für Außenstehende schwer zu beurteilen. Ich wage zu bezweifeln, dass die Kompetenz bei Absolventen eines Hochschulstudiums oder einer etablierten Therapieausbildung generell höher ist.
Ich sehe im Kern Ängste am Werk, die einer höheren Akzeptanz des Tantra im Wege stehen. Die Ängste speisen sich aus Verletzungen, die wir wohl alle mehr oder weniger in sexuellen und/oder spirituellen Fragen erlebt haben, und die sich in Projektionen ausdrücken, ganz ähnlich wie bei der Flüchtlingsfrage. Diesen Ängsten möchte ich vor allem mit Offenheit und Transparenz begegnen.
Ich sehe bezüglich der Akzeptanz keinen großen Unterschied zwischen Männer und Frauen, Tantra (nicht Tantramassage, die häufiger von Männern „konsumiert“ wird) ist eine der wenigen Angebote im psychospirituellen Bereich, die von beiden Geschlechtern gleichermaßen wahrgenommen werden. Die Ängste der Männer kreisen vielleicht mehr um die emotionalen Themen, um die Verletzlichkeit, der sie im Tantra begegnen könnten, die Ängste der Frauen mehr um unfreiwillige sexuelle Grenzüberschreitungen. Aber auch diese Polarisierung löst sich zunehmend auf.

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Was bedeutet es männlich zu sein? Eine Entdeckungsreise.

Wir haben hier bei uns auf Erosa ja über dein Buch „Lustvoll Mannsein“ geschrieben. Welche Reaktionen hast du bisher dazu erhalten?
Sehr vielfältige, nicht selten auch überwältigende Reaktionen, allen voran der häufige Dank, einen so tiefen Einblick in die reiche und widersprüchliche Erlebniswelt von Männern in Sachen Sex zu bekommen.
Am meisten gefreut habe ich mich über die Rezension von Volkmar Sigusch, einem der „Päpste“ der deutschen Sexualforschung, der sich nicht scheut, in einem hochwissenschaftlichen Fachmagazin über unser so gar nicht „wissenschaftliches“ Buch zu schreiben: „Ich habe dieses Werk gelesen (…), weil mensch sehr schnell mitbekommt, dass in diesem Buch nicht dem westlichen Wissenschaftobjektiv gefrönt (…) wird. (…) Ich empfehle allen Sexual- und Paartherapeuten aller Geschlechter die Lektüre dieses Buches.“ Dabei ist es gar nicht in erster Linie für Fachleute geschrieben.
Manche Reaktionen waren auch verhaltener, die Lektüre sei nicht leicht verdaulich und es geht auch ans eigenen Eingemachte. Einige wenige haben uns zurückgemeldet: „So genau wollte ich es nun auch wieder nicht wissen, was in den Männern vorgeht.“ Nun gut, die Lektüre ist ja freiwillig …
Erstaunlich klamm war auch die Reaktion aus der sonst eher robust auftretenden Szene der an (neuen wie alten) Männlichkeitsidealen orientierten Männer. Das hat vielleicht damit zu tun, dass wir die Orientierung von Männern an Männlichkeits-Idealen (anstatt am eigenen, individuellen Erleben) grundsätzlich in Frage stellen und damit auch deren Geschäftsmodell, eine neue Männlichkeit zu „verkaufen“.

Noch irgendwelche letzten Worte, die du unseren Lesern mit auf den Weg geben willst?
Letzte Worte, das klingt ja nach einem ganz anderen Thema … Okay, das lasse ich mal links liegen. Eros ist eine Erfahrungsdimension des Lebens, die uns lehrt, mit Unterschiedlichkeit und Polarität lustvoll und leidenschaftlich, aber auch respektvoll und befriedigend (also auch friedlich) umzugehen. Eros auf den Sex zu reduzieren, zieht das Salz aus der Suppe des Lebens und versalzt uns zugleich den Sex selbst.
Tantra kann neben vielen anderen Wegen dazu beitragen, eine Erotik zu kultivieren, die uns beschwingt den Tag und die Nacht genießen lässt, zwischenzeitliche Krisen und daraus aufsteigendes Wachstumspotenzial inklusive.

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