Mein Mädchen und ich sind ja nun schon seit geraumer Zeit ein Paar und BDSM war von Anfang an ein Bestandteil unserer Partnerschaft. Also haben wir auch ganz am Anfang, brav wie wir sind, ein Safeword ausgemacht. Nicht, dass wir je daran gedacht haben, eines zu brauchen oder so… und nicht dass wir es genutzt hätten in den letzten zwei Jahren. Also ging unser Safeword den Weg alles Irdischen. Es geriet in Vergessenheit und ganz ehrlich, ich könnte im Moment nicht mal mehr sagen, was es damals war.
Allerdings war das Thema Safeword immer mal wieder Gesprächsthema bei uns. Sei es, weil auf einem der letzten Stammtische darüber geredet wurde. Oder weil das Thema im Bekanntenkreis aufkam oder auch einfach so, in den ganz normalen Gesprächen nach einer Session oder einer Party. Und jedes mal kamen wir zu dem selben Ergebnis: Eigentlich brauchen wir keines. Wir waren durch viele Gespräche nach unseren Sessions so aufeinander eingestellt, dass ich in jeder Situation mein Mädchen lesen konnte. Ihre Reaktionen, die Art, wie sie auf den vorherigen Schlag reagierte, ihr Geruch, Ihr Stöhnen. Ich wusste, wo sie war und wo wir noch gemeinsam hingehen konnten. Und so hätte es ewig weitergehen können…
Wäre da nicht das Frühlingsfest gewesen…
Wir waren, wie auch schon letztes Jahr, in die Organisation dieses Events eingebunden und daher war es so, dass wir seit Mittag schon in der Location waren. Wir kümmerten uns um das Essen, die Dekoration, die Vorbereitung der Spielräume, einfach um den ganzen Kleinkram, der mit so einem Event zusammen hängt. Vormittags waren wir eigentlich schon zu dem Schluss gekommen, dass wir den Abend einfach auf uns zu kommen lassen. Es war keine Session geplant, aber es wurde auch nicht gesagt, dass wir uns diesen Abend einfach nur um den Event kümmern wollen. Wir waren also von Anfang an in einem Zustand des ‚Vielleicht‘.
Normalerweise kein Problem. In diesem Zustand gehen wir häufiger auf Events. Man weiß ja sowieso nie, was da jetzt auf einen zu kommt. Manchmal schlägt man auf einer Party auf, um den ganzen Abend nur gemütlich mit Bekannten da zu sitzen, die man lange nicht gesehen hat, und irgendwie kommt keine Sessionatmosphäre auf. Oder man fährt los und hat gar kein Gefühl für eine Session am Abend. Dann kommt man an und innerhalb kürzester Zeit reißt einen die Location oder die Aktionen, die um einen herum laufen in einen Flow und man kommt den ganzen Abend nicht mehr aus der Session heraus. Also haben wir uns gar keine Gedanken darüber gemacht, was auf uns zu kommt.
So gegen 22 Uhr haben wir uns dann „ganz offiziell“ aus dem Team ausgeklinkt. Nach zehn Stunden Arbeit wollten wir jetzt auch unseren Spaß haben.
Anfangs lief auch noch alles in seinen Bahnen. Gut, die Suspension* war an diesem Abend nicht das, was mein Mädchen in das submissive Nirvana sandte, also lösten wir das auch recht schnell wieder auf, der Kopf war einfach nicht frei genug, um den Flug zu genießen. Sie war mental an diesem Abend einfach nicht entspannt genug, um sich auf das Gefühl der Hilflosig- und Verletzlichkeit einzulassen. Okay, also keine großen Sperenzchen, keine Tüddelei. Einfach ein bisschen gutes, altes Impact-Play*. Leichter Flogger*, schwerer Flogger, kurze Singletail*…
… und dann passierte es.
Das ‚Nein.. Nein…. Neinnnnnn….!‘, das ansonsten oft zu unseren Sessions gehört, fing an, in meinem sich sowieso irgendwie immer noch im ‚Vielleicht‘-Modus befindlichen und von der ganzen Arbeit als Gastgeber auch schon halbwegs ausgepowerten Kopf Purzelbäume zu schlagen.
Urplötzlich erlebte ich etwas, was ich schon seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Ich konnte meinen Partner nicht mehr lesen. Die gesamte moralische und anerzogenen Konditionierung: Man schlägt doch niemanden, seinen Partner schon gar nicht! Man fügt keinem anderen Schmerzen zu! Wenn jemand „Nein“ sagt, er auch „Nein“ meint! All das, was wir in den Zeiten, in denen wir das Biest frei lassen, gut ausblenden können in diesem wunderbaren Ding, das ‚Konsens‘ genannt wird, schlug erbarmungslos zurück. Ich erlebte das dominante Äquivalent zu einem Absturz. Ich war nicht mehr in der Lage, weiter zu machen.
Ich brach die Session ab.
Wir blieben dann noch ein paar Minuten in dem Raum, da wir dort gerade auch ein bisschen Ruhe hatten. Hier war das erste mal seit langem mal wieder echter Redebedarf, denn so eine Situation kannte ich von mir gar nicht mehr. Ich merkte, dass mich das Nein meines Mädchens in dieser Situation verunsichert hat. Ich wusste zwar von der Logik her, dass es kein ernst gemeintes Nein war, ich war aber nicht in der Lage, das ganze emotional so zu akzeptieren wie sonst. Ich wusste um unseren Konsens, unsere Dynamik, aber ich war nicht in der Lage, es umzusetzen.
Und da kam es wieder ins Spiel: das gute, alte Safeword. Die Reißleine, die greift, wenn der Kopf versagt.
Hätten wir in diesem Moment ein Signal gehabt, dass mir die Möglichkeit gegeben hätte, das Nein zu überhören, wäre es nicht zu diesem Abbruch gekommen. Sie wollte nicht aufhören, hatte noch lange nicht genug, um die Erlösung für diesen Abend zu bekommen, aber ich konnte sie nicht verstehen. Wir sprachen nicht die selbe Sprache.
Also haben wir es wieder. Seit ein paar Wochen. Ein Safeword. Ein Ding, das wir nicht brauchen. Das aber, nur dadurch, dass es da ist, ein bisschen mehr Ruhe in den Kopf bringt.
Es heißt „Miau“…
In diesem Sinne: liebt euch, schlagt euch, lebt euch
Sascha Hein
Ergänzung Redaktion:
* Suspension: Hängebondage
* Impact-Play: am ehesten mit „Schlagspiel“ zu übersetzen.
* Flogger: eher weiche Peitsche mit mehreren Lederriemen
* Singletail: einschwänzige Peitsche
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