Ausschnitt aus dem Roman "Die Reise nach Jerusalem" von Jan Ulrich Haseke

Ausschnitt aus dem Roman „Die Reise nach Jerusalem“

von Jan Ulrich Haseke

Lockendere, Üppigere, Vollere

Ein unbändiges Zirpen sirrte durch die Luft.Grillen waren im krautigen Gras versteckt und riefen sich beim Namen. Einhysterischer Laut! Evan Evve! Immer höher, stärker, lauter. Verloren inkreischender Graswildnis erstiegen wir den Rücken des Berges. Schweiß perltejuckend unter meinen Achseln hervor, rann in kitzelnden Tropfen an meinenFlanken hinab. Blut pochte im Hals. Luft hechelte in meiner Kehle.Grillengeschrei zerriss den Atem.

Rona ruderte mit ihrer freien Hand groteskin der Luft, mit ihren kräftigen Beinen stieg sie über das Gestein, und ihrKörper schwang hin und her zwischen mir und der bleiernen Umgebung vor uns.Beherrscht vom Sirenenschrei der sirrend-reißenden Grillen tanzten wir vonOberons Horn besessen den Berg hinauf.

Da ließ sie meine Hand los, stützte sich aufeine Mauer, stemmte sich hoch, saß obenauf, schwang die Beine herum und hüpfteauf der anderen Seite wieder hinunter. »Komm!«, sagte sie und wischte sichhastig den Schweiß von der Stirn. Ich stieg auf die niedrige Mauer und sprangihr hinterher. Da standen wir auf einem kleinen Platz, der von hohen Zypressenumgeben war. Rona blieb stehen, breitete die Arme aus und sagte: »Na, was sagstdu nun?«

Das rondellartige Plateau war mit großenSteinplatten gepflastert. Ich sah mich um. Im Tal erblickte ich einige Lampionsaus den Vorgärten der Villen. Dieser breite dunkle Fleck dort unten am Hangmusste die Herberge sein. Hügelbeulen wälzten sich über schwarze Täler,funkelnde Lichter flirrten auf den Hügelrücken wie Girlanden.

»Jerusalem!«, sagte Rona.))

Kein Laut war mehr zu hören, nur meineigener Atem, der unruhig bebte. Wenn ich die Luft anhielt, konnte ich in einerder anderen Hütten ein Schnarchen hören. Warmes Menschfleisch. Trunkenertraumloser Schlaf. Mein Hals schmerzte mehr und mehr. Oben auf dem Plateauhatte ich leichten kühlen Wind gespürt, der sanft über meine schweißige Hautglitt. Rona und ich standen lange schweigend da. Die Welt lag unter uns. Durchdas endlose Gellen der Grillen heulte ein Motor auf, bellte fern ein Hund. Undheute lag ich Meilen entfernt, allein – ( –

( – (der feine Hammerschlag in meinenSchläfen stand still. Rona schlenderte auf und ab. Im bläulichen Kaltlicht desMondes glänzte eine steinerne Bank weißlich. Ich setzte mich und spürte dielaue Kühle des Steines. Als ich die Nase an den Stein hielt, konnte ich nochdie kalkige Sonnenglut des Tages riechen. Rona blickte ins Tal hinunter. IhreLocken griffen wie ein schwarzer Kraken in ihr weißes Kleid. Die gierigenfetten Blumenranken, die sich des Tags um ihren Leib wanden, warenverschwunden.

Die Grillen sägten Kristalle in die Nacht.Ronas breitere Hüften, wallenderes Haar, größere, lockendere Brüste, dichtere Augenbrauen,fülligere Lippen, ihre Silhouette gegen einen achatfarbenen Himmel: klarer,schärfer, verlangender. (Aline stand damals in feuchter neblichter Morgenwiese,allein. Und sie ahnte nicht, dass ich hinter ihr war. Zierlich, zart, fern.Kleine feuchte Seufzer – )

Feiner Sand knirschte unter meinenHandflächen. Wüstenstaub vom Sinai durch heiße Winde hierher nach Jerusalemgefegt. Er klebte an meinen Händen. Und ich streifte ihn an meiner Hose ab. Aufmeinen Armen lag ein schwacher Jadeschimmer. Rona rührte sich nicht vom Fleckund in meinem Kopf wirrten sich Stimmen – : lockendere Brüste, üppiger, voller.

Ich stand auf und ging zu ihr. Wie anRachels Grab blieb ich einen Schritt hinter ihr stehen und sehnte meine Händean die Üppigeren, Lockenderen, Volleren. Ihr Kopf drehte sich langsam einerinneren Partitur lauschend ins Profil und lockte mich. Ich tat den Schrittvorwärts, fühlte, wie sie ihren Körper nach hinten neigte, so dass ihreSchulter meine Brust berührte und der Geruch ihrer tiefschwarzen Haare in meineNase kroch und Unheil stiftete. Ich strich mit verlangenden Händen ihre Armehinauf, fühlte den rauhen Widerstand ihrer kräftigen Härchen, umfasste zärtlichihre Schultern, und senkte meine Hände, während sie ihren Kopf in den Nacken fallenließ, hinunter und drückte feuchte Finger auf die schwellenden Knospen ihrervollen Brust. »Nein – «, wimmerte sie, als ich ihren Hals küsste und meineLippen auf eine pochende Ader legte, um das Leben in ihr zu spüren. Ronas Hautwar klamm und schmeckte bitter.

Sie riss sich los »nein!« ich griff ihreHand verrenkte Armzeichen breiter wallender fülliger »nein!« Hände anSteinmauern gekrallt Küsse auf windenden Hals breiter runder lockenderAtemfluchten von hechelnden Grillen betäubt. Hingegeben.

Rona gab auf, erschrocken ließ ich sie los,ihre Hände ruhten auf den bröckelnden Steinen der Umfriedung, das helle Kleidlöste sich in klammen Falten von ihrem Bauch. Rona blickte in ihre Hand, ichsah von hinten eine dunkle Schramme darin. Sie schluckte Wut und Scham hinunterund drehte sich um: ihr Gesicht glühte im fahlen Schein des Splittersteins,Haarsträhnen rissen ihre Stirn in Fetzen, in ihren Augen verbündete sich Stolzmit Lust, sie riss meinen Mund auf den ihren stieß in drohender Gebärde ihr breiteresBecken an mich presste ihre weichen Volleren durchwühlte mein Haar eroberte wirsanken nieder messerscharfe Felsvorsprünge ritzten fiebrige Haut rauheEllenbogen schürften über kantige Steinplatten knirschender Sand unterzuckenden Muskeln Glimmerglanz um bebenden Umbilikus Katzengold Strauchwuchs inrotgranitenen Felsspalten tauperlig nachtschwarz Milchdruse Schleifspuren aufkantigem verwittertem Untergrund karstige Schlotte Schmelzlust stürzt inKatavothre ins Schlundloch in den saugendtiefen Ponor –

Schrei und Lustruf fährt in den wimmelndenWiesendschungel bringt Zirpe und Grille zum Verstummen befiehlt wie Asosraglühgeschweiften Meteoren die weitgewandert am Pechhimmel Menetekel schreibenund mit berstendem Knall in runzlige Gemmen zerplatzen / lässt den Mond inSchaum ertrinken / lässt Fels und Berg von hallender Klage berichten und dringtin tiefste Höhlen wo blinde Salamander in zähes Magma stoßen das aufdringtdurch Spalten quillt sich rauchzischend ins Meer erbricht, erstarrt, erkaltet,von Schlamm bedeckt in tiefe Erdzeitalter fällt – – –

Jan Ulrich Hasecke: DIE REISE NACH JERUSALEM
ISBN 3-8311-0321-6 / Roman, 150 Seiten, 19,80 DM

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