Buchrezension: Gemeinsam frei sein

Ratschläge sind auch nur Schläge – umso angenehmer kommt dieser Beziehungsratgeber daher. Die beiden Berliner Coachs Alexandra Schwarz-Schilling und Christin Müller-Colli nehmen eine der größten Herausforderungen in den Blick, die Beziehungsleben zu bieten hat: Wie können die Sehnsüchte nach Selbstentfaltung und Verbundenheit gleichermaßen befriedigt werden?

Die gute Nachricht vorweg: Die Quadratur des Kreises sei möglich. Aber… Der Weg dahin ist dornig.

Der Ansatz, den die Autorinnen wählen, gefällt mir gut, denn er zeugt von Frauenliebe und Männerliebe, Erfahrung und Weitsicht, Klugheit und Erfahrung, Verbundenheit und Selbstbewusstsein – eine Kombination, die viele Beziehungstipps durchaus vermissen lassen.

Schwarz-Schilling/Müller-Colli teilen Ihre 270 Seiten in zwei Hälften. Die erste betrachtet den kollektiven Hintergrund unserer individuellen Beziehungsnöte – Gesellschaft, Moral, Sexualität, Matriarchat, Patriarchat – und die zweite Hälfte blickt auf die individuellen Rahmenbedingungen: Unbewusste Überzeugungen, persönliche Lebensthemen, Identitätsbildung.

Das alles klingt akademischer als es letztlich ist. Schwarz-Schilling/Müller-Colli gelingt das Kunststück, ihre komplexe Sicht auf das Zusammenspiel von Körper, Geist, Seele, Sex, Moral und Beziehung jederzeit anschaulich und nachvollziehbar darzulegen.

Wie machen Sie das genau? Sie nutzen das Modell der Archetypen nach C.G. Jung und verknüpfen es elegant mit der taoistischen Sichtweise von Yin und Yang und der schamanischen Verbundenheit mit Erde und Natur. Dazu kommt ein weiter Rückblick in die Geschichte matriarchaler und patriarchaler Denk- und Beziehungsweisen und deren bisweilen fürchterlichen Auswirkungen auf Leib und Seele von Mann und Frau.

Sie sezieren die Nachteile einer linearen Sicht auf die Welt (trennend, hierarchisch, schuldbeladen, schmerzhaft) und werben für die Vorteile eines zyklischen Weltbilds (verbindend, systemisch, heilend, befruchtend).

Die Autorinnen formulieren ihre Hoffnung und Überzeugung, dass die Menschen nach Jahrtausenden der Einseitigkeit (weibliches oder männliches Prinzip) den Schritt in etwa Neues, bis jetzt nicht dagewesenes wagen. Als Voraussetzung dafür nennen sie: Anerkennung und Balance der Polaritäten (Yin/Yang oder weiblich/männlich), Mut zu vertrauen und persönliche Grenzen zu überschreiten, Verbindung von Geist und Körper, Selbstliebe und Eigenverantwortung, Anerkennen des eigenen Täterpotenzials und Aussteigen aus dem Täter-Opfer-Denken und – ganz wichtig – Heilung unserer Beziehung zu unserem Körper und zur Erde.

Eine ganze Menge… Doch der Lohn, den Schwarz-Schilling/Müller-Colli auf diesem Weg sehen, fühlt sich verlockend an: Liebe, Fülle, Ekstase, innere Freiheit, Selbstentfaltung, Zugehörigkeit, Beziehungsglück. Um dahin zu kommen, skizzieren sie Übungen und Ansatzpunkte für die persönliche Weiterentwicklung allein oder mit einem Coach.

Sehr angenehm finde ich, dass die Autorinnen weder heilsversprechend noch esoterisch verschwurbelt oder moralinsauer rüberkommen und dass sie – nach all dem Mist, den das Männliche in dieser Welt angerichtet hat – Männer nicht per se verurteilen. Im Gegenteil: Frauen lieben und wollen Männer, schreiben sie, und Männer haben ebenfalls ihre Verletzungen, die der Heilung bedürfen.

Wenn man sich auf die Gedanken, die Schwarz-Schilling/Müller-Colli formulieren, einlässt, blinken außerordentlich reizvolle Perspektiven auf, die eine ganz andere Qualität spürbar machen, als sie der gemeine Alltag heute oftmals zu bieten hat. Eine Qualität, die sowohl das Leben des Einzelnen als auch das der Gemeinschaft(en) betrifft. Beide Sphären – die individuelle und die kollektive – sind in dieser Weltsicht untrennbar miteinander verbunden.

Als Mann und Männercoach habe ich mich gefreut, auf dieses Buch zu stoßen und wünsche ihm viele mutige Leser.

Rezensent für erosa.de: Harald Berenfänger www.berenfaenger.com

Bewertung:

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