„Da unten“ nichts neues

Trotz „Sex in the city“, zahllosen Sextipps in den Magazinen und immer neuen Sextoys: Das Lust-Problem bei den Frauen scheint sich kaum geändert zu haben. Schmerzen, ausbleibender Orgasmus und grosse Scham über „da unten“ zu reden, ist immer noch ein grosses Problem für viele Frauen. Das hat eine neue Untersuchung ergeben, die 4.500 Frauen aus Sachsen-Anhalt zum Thema befragt hat.

Dabei gibt es doch unzählige Ratgeberbücher, Sextoys in allen Formen und Farben, Gleitgele in allen Geschmacksrichtungen, unendlich viele Webseiten über Sex, Erotik und Dating. Woran also kann es denn nun liegen? An mangelnder Aufklärung kann es nicht liegen, denn einen so vielfältigen Zugang zu guten (wie auch schlechten) Informationen im Internet, wie es heute möglich ist, hat es in dieser Quantität und Qualität nie zuvor gegeben. Auch der Zuwachs an Tantra-Seminaren sollte doch eigentlich nun langsam mal saftige Früchte tragen. Doch noch immer, so scheint es, vertrocknen die Pflaumen und Feigen der Frauen, ohne jemals richtig reif und saftig geworden zu sein…..

So spontan mir eben dieses Bild auch gerade in den Sinn gekommen ist, so kann es doch vielleicht auch eine mögliche Erklärung bieten: Das Wissen darum, wie man einen kräftigen und fruchtbaren Baum aufzieht, reicht noch lange nicht aus, damit sich aus einem kleinen Spross auch wirklich ein starker Baum entwickelt. Ein Baum, der nicht am richtigen Ort steht, der nicht genügend hochwertige Nahrung (Licht, Luft, Wasser, Nährstoffe) bekommt, kann nicht so wachsen, wie es in ihm angelegt ist. Man kann den Baum auch nicht schneller wachsen lassen, sondern muss ihn kommen lassen, schauen, wie er sich entwickelt, und kann nicht versuchen, ihn höher oder schneller wachsen zu lassen. Ein Baum, der nicht mit der Natur und deren Elementen gut verbunden ist, kann nur klein und schwach werden.

Was also könnte eine der möglichen Ursachen bei den Frauen sein? Viele Frauen, sei es aus der Eltern- oder Großelterngeneration, haben Missbrauchserfahrungen hinter sich, besonders zu Kriegszeiten. Wie können missbrauchte Frauen also ihren Töchtern einen guten Boden bieten, auf dem diese Lust, Leidenschaft und Liebe entdecken können? Wer diese Themen wie Scham und Ohnmacht und Verletzlichkeit nicht verarbeitet hat, gibt diese versteckt und unbenannt weiter. So übernehmen die Töchter diese Gefühle quasi mit der Muttermilch und wissen oftmals nicht, woher diese grosse Scham oder die Angst vor Leidenschaft eigentlich kommen kann. Wir alle sind eingebettet in die Gesellschaft, in unseren eigenen Kreisen, in die Familie. Und von allen übernehmen wir auch die Werte, Normen und ungelösten Themen, es ist nicht immer einfach nur unser ganz eigenes individuelles Problem. Wer die Augen öffnet für den grösseren Zusammenhang, der wird entlastet von der persönlichen Schuld und kann dann wieder leichter den eigenen Weg gehen.

Außerdem sind in unserer Gesellschaft Werte wie Verletzlichkeit, Selbstreflexion, Besinnung und Ruhe weder gern gesehen noch werden sie überhaupt geübt geschweige denn gelehrt. So kann auch der wenig nährende Boden nicht durch die Elemente der Natur ausgeglichen werden und die zarten Knospen vertrocknen oder werden vom Wind der Gesellschaft abgeknickt.

Sexualität ist, wird und sollte meiner Meinung nach immer etwas besonderes und intimes bleiben, auch wenn aktuelle Trends wie Casual Dating das Gegenteil behaupten. Wer sich also an dieses heiße Thema wagen will, braucht viel Mut. Mut, den Boden durchzugraben, Steine, Schadstoffe und Verkrustungen aufzulösen und dafür zu sorgen, dass neue Nahrung gut aufgenommen werden kann. Das ist manchmal ganz schön harte Arbeit, die auch immer wieder mal Rückschläge mit sich bringt. Und da scheint es leichter, den Boden brach liegen zu lassen und sich dieser Herausforderung einfach nicht zu widmen, erst recht, wenn scheinbar kaum Zeit dafür da ist.

Aber auch wenn es natürlich nicht immer alles nur schwer ist, so sollte es auch benannt werden, dass es schwer sein kann. Wem immer gesagt wird, dass alles ganz einfach sei, man müsste doch nur dieses oder jenes tun, der wird an sich verzweifeln, wenn es bei ihm oder ihr eben nicht so einfach vonstatten geht. Und das ist eines der ganz großen Mythen dieser Gesellschaft, dass Sex einfach nur Sex wäre und nicht etwas, das auch in die dunkelsten Tiefen der Persönlichkeit hineinreicht. Und solange dieser dunkle, geheimnisvolle und auch verstörende Anteil der Sexualität nicht ans Licht geholt werden darf, solange wird auch keine persönliche wie gesellschaftliche Befreiung der Sexualität möglich sein.