„Die Abenteuer vonLady Latex“
von Michael Eichhammer
Sie fragte sich, ob alle Superhelden und Superheldinnen beim ersten Tragen soviel Zeit damit verbrachten darüber nachzudenken, ob ihr Kostüm perfekt saß.Zugegeben, die Hauptanforderungen an einen Superhelden-Dress waren, daß erkugelsicher war, genug Taschen für die umfangreiche Superhelden-Ausrüstunghatte, eine gute Tarnfarbe hatte und so elastisch war, daß er einen nichteinschränkte, wenn es auf schnelle und präzise Bewegungen ankam. Aber obwohlsie mehr Zeit damit ver-brachte sich mit irgendwelchen Superschurken im Dreckzu wälzen als mit dem netten Jungen von nebenan (der sicher gerne das selbe mitihr getan hätte) auszugehen, fühlte sie sich sehr weiblich und wollte ihrenSexappeal mit dem Dress nicht verstecken, sondern unterstreichen. Und siewollte bei ihrem Styling mehr Geschmack beweisen als ihre Vorgänger Supermanund Batman, diese Winterunterwäsche-Fetischisten, deren Vorstellung vonmodischer Extravaganz ihren Höhepunkt offensichtlich darin fand, die Unterhosenaußen zu tragen.
Nachdem sie sich für fast 20Minuten im Spiegel betrachtet hatte und dabei jede erdenkliche Perspektiveausgetestet hatte, kam sie zu dem Schluß, daß dieser hautenge schwarzeLatexbody, die dazugehörigen langen Stiefel und die Gummihandschuhe all ihreAnsprüche erfüllte. Sie fand, daß das Schwarz perfekt ihre langen blonden Haareunterstrich. Der Dress saß sie eine zweite Haut um die wohlgeformten Rundungenihres Körpers. Die Brüste wirkten durch den Druck des Latex sogar noch größer.Wenn man ganz genau hinsah, konnte man bei hellem Licht sogar die Andeutungihres Venushügels erkennen – aber sie hatte sich geschworen, daß kein Gaunerjemals unverletzt so nah an sie herankommen würde…Das Material war eng, aberes fühlte sich angenehm an, ja sogar erregend. Ob Batman wohl von seinemeigenen Outfit auch so angeturned wurde? Hatte der schwarze Ritter während derFahrt in seinem Bat-Mobil unter seiner Bat-Hose einen Bat-Ständer? Sie hatteweder Lust noch Zeit diesen Gedanken weiter nachzugehen und schaltete stattdessen zur Inspiration für ihre erste Heldentat den Fernseher an. Sie zapptedurch ein paar Nachrichtensendungen und Reportage-Magazine und war sich sicher,daß es ihr nicht an Aufgaben mangeln würde.
Voller Tatendrang öffnete siedas Fenster, sprang behende wie eine Katze in den Regen, flog – unterstützt vonihrem Superhelden-Zubehör – von Häuserdach zu Häuserdach und kletterteschließlich wie eine Fliege die Häuserschluchten hinab in das Jammertal derGroßstadt Gothamandeggs City, wo die Verbrechensrate längst die Geburtenrateüberrundet hatte. Sie wurde sofort vom Schwarz der Nacht verschluckt. Siebewegte sich lautlos im Schutz der Dunkelheit, von einer schattenspendendenHäuserfassade zur nächsten. Immer möglichst weit entfernt vom Spotlight derLaternen. Einen kurzen Augenblick war sie unkonzentriert und mußte einen hohenPreis dafür bezahlen. Nur kurz war sie aus dem Schattenreich in das Rampenlichteiner Neonreklame gestolpert und schon fand sie sich umzingelt von fünfbierbäuchigen Typen, die rochen wie ein Pissoir, dessen Toilettenfrauoffensichtlich verdammt wenig Trinkgeld bekam. „Also, man kann wirklichnicht sagen, daß das Sprichwort ´In der Nacht sind alle Katzen grau´ stimmt. Dahaben wir ja ein besonders schönes Exemplar von einer Pussy mit schwarzenFell!“, meinte einer. Er klang so, als hätte er zuviel getrunken. „Soein süßes gestiefeltes Kätzchen! Oder sollte ich sagen: Muschi!“ SeineKumpane kicherten wie ein Rudel Schimpansen. Der widerliche Typ war jetzt sonahe an sie herangetreten, daß sie riechen konnte, daß sie mit ihrer Vermutungrecht gehabt hatte: Er war betrunken. Sein eigentümliches Parfüm aus Bier,Schnaps, Schweiss und Urin stach in ihre Nase und sie befürchtete fastohnmächtig zu werden. Seine Blicke durchbohrten sie vor Geilheit, ihre Blickedurchbohrten ihn vor Abscheu.
Die Männer hatten von Anfang aneinen Kreis um sie gezogen, dessen Radius sie in kleinen Schrittenverkleinerten. „Nettes Outfit! Bist wohl auf dem Weg zu einer SM-Party,oder?“ Wieder wurde das Lallen des Anführers mit anerkennendem Gegackerseiner Kumpels belohnt. „Ich bin Lady Latex!“, sagte sie und war sichmit einem Male nicht mehr so sicher, ob das ein so guter Name für eineSuperheldin war. „Oho, Lady Latex!…Erzähl mir deine Fantasien, dunkleLady! Ich bin sehr flexibel.“, sagte das Stinktier und kam näher. SeineFreunde taten ihm gleich. Er fuhr fort: „Wenn du willst, kann ich deinMeister sein. Ich würde dich zwingen nichts als eine Hundeleine zu tragen, wennwir ausgehen. Ich würde in einem Café einen Fremden an unseren Tisch bitten unddir befehlen, ihm vor allen Leuten einen runterzuholen. Stehst du dadrauf?“ Dem Grunzen nach zu urteilen, standen jedenfalls die Freunde desRedners darauf… „Oder hättest du mich lieber als Sklaven? Soll ich dirdeine Stiefel lecken? Oder deine Muschi? Willst du mich als Toilettebenutzen?“ „Hm…“, begann Lady Latex und blickte ihremGegenüber tief in die Augen, „wenn du mir schon die Wahl läßt, dann willich lieber deine Herrin sein. Du stehst doch bestimmt auf Schmerzen!“Bevor der Typ auch nur „Aua“ sagen konnte, lag er ein paar Meterweiter entfernt, nett garniert mit dem Inhalt einer Mülltonne, die er beimFallen umgerissen hatte und mit einer schmerzhaften Erinnerung an die Spitzevon Lady Latex Stiefel in den Hoden. Seine Kameraden wußten nicht so recht, wiesie reagieren sollten. Erst als er rief „Schnappt euch das Luder!“bewegten sie sich auf sie zu. Einer der noch betrunkener war als der Anführertorkelte auf sie zu und sabberte: „Du kleine Nutte! Dafür wirst dubezahlen.“ Er streckte seine Hände nach ihr aus, aber ein gezielter Schlagins Gesicht ließ ihn zu Boden gehen wie ein mitten in der Aufführungerschossener Ballettänzer. Der Typ war erstmal damit beschäftigt, seine Zähneeinzusammeln und der Anführer krümmte sich auch noch am Boden, immer noch überdie Schmerzen in seinen Weichteilen jammernd. ´Kleine Fische´, dachte LadyLatex, ´dreckige, parasitäre, kleine Silberfische´. Sie hätte sich von demAbend mehr erwartet: Die Welt vor einem Größenwahnsinigen retten, der dieWeltherrschaft an-strebte oder so was. Aber dieser Übermut rächte sich – Siehatte die Bande unterschätzt: Plötzlich wurden ihre Oberarme von zwei mächtigenHänden wie von Schraubstöcken eingezwickt und nach hinten gedrückt. Dadurchwurden ihre Brüste einladend nach vorne gestreckt und die zwei übriggebliebenenStreuner nahmen die Einladung gerne an… Der eine begann, ihre Brüste grob zukneten, während der an-dere seine Finger gewaltsam in ihren Body quetschte undmit angenehmer Überraschung feststellte, daß kein Slip seine weiterenFingerfertigkeiten aufhielt.
Für einen kurzen Augenblicküberlegte sie, ob sie um Hilfe schreien sollte. Dann wurde ihr bewußt, wiesinnlos das war: Die Chance, daß jemand anderes außer ihr ausgerechnet auchheute auf die Idee gekommen wäre, mal so ein bißchen Super-held zu spielen, warso dünn wie ein Kondom und die Wahrscheinlichkeit, daß ein „normaler“Mensch den Mut finden würde in so einer Situation zu helfen war erfahrungsgemäßgeringer als die Wahrscheinlichkeit, daß es den Weihnachtsmann doch gab. DerBetrunkene, der seinen Finger gerade in ihren Superhelden-Körper bohrte, lallte:“Du willst das doch, so wie du rumläufst.“ Dieser Spruch machte sieso wütend, daß sie ganz ohne Super-Kräfte und ohne Super-Ausrüstung, die Kraftaufbrachte, sich aus dem Griff der Schraubstockhände zu befreien. Sie schlugden überrascht glotzenden Urmenschen vor ihr die Köpfe gegeneinander – auf Holzklopfen soll ja bekanntlich Glück bringen. Den hinter ihr stehenden Hünenerledigte sie mit einem Tritt ihres spitzen Absatzes auf seinen Fuß. Pfeifendverließ sie das Schlachtfeld. Sie war sich stellenweise mit der Melodie nichtganz sicher, aber den Text dieses alten Songs von Tom Waits hatte sie nievergessen: „Did the devil make the world while god was sleeping?“ DieNacht war noch jung.