"Der Weihnachtsstrip" von Götz Schwirtz

Sybille hörte dem Auto nach. Sogar das hatte er für sie getan: Für das Knirschen des Wagens auf weissem Kies gesorgt.

Sie schloss die schwere weisse Tür und öffnete per Knopfdruck das Gartentor wieder. Den Gärtner, ein auf der Strecke gebliebener Mitgenosse ihres Mannes und die Zugehfrau, auch eine Bekannte aus der Kaserne, hatte sie für heute abgemeldet, Sibylle erwartete einen anderen dienstbaren Geist.

Fahrig räumte sie das Frühstücksgeschirr zusammen, die nötige Konzentration für die komplizierte Füllung des Geschirrspülautomaten, brachte sie nicht auf. Immer wieder äugte sie ob das Motorrad nicht in der Auffahrt erschiene. Zurecht machen musste sie sich nicht, für Stefan war sie, so bettfrisch wie sie war, genau richtig. Jetzt hörte sie die Maschine den Berg hinauf knattern. Die Hand um den Griff der bauchigen Teekanne geschlungen, zwang sie sich nicht zum Fenster zu laufen. Die Maschine heulte kurz auf, dann Stille, nach langen Sekunden läutete es. Wie immer hämmerte er fast gleichzeitig an die Tür: “ Stefans Putzdienst, sie haben mich bestellt Gnädigste, verschanzen ist zwecklos, ich habe ihr Haus umstellt, öffnen sie sich und ergeben sie sich mir!“ Sie riss die Tür auf, doch ehe sie sich an seine dreifarbige Motorradkombi hängen konnte, trat er einen Schritt zurück. „Hands off, Darling! Das berühren der Figüren mit den Pfoten ist verboten! Zumindest in Privatkleidung!“

Der Spinner, die Jacke hatte er von ihr geschenkt bekommen. Doch ihre Vorfreude stieg weiter, wies der Hinweis auf Privatkleidung doch auf eines seiner Kostümspiele hin. Er trat an ihr vorbei in die Diele. “ Na, wo lungert denn heute der Dreck in eurem Riesenhutzlibutzli? Staubschwaden im Schlafzimmer? Kakerlaken in der Küche? Silberfischchen im Bidet ?“

„Ach na suchen Sie nur mal sehr gründlich, sie finden ja immer die Stelle die einzustauben droht.“ erwiderte Sybille.

„Allerdings“ grinste er ihr ins Gesicht,“ aber jetzt husch, husch aufs Sofa, das Putzteufelchen kommt gleich nach.“ Während sie ins riesige Wohnzimmer trat, begann er den schweren Motorradanzug auszuziehen. Sie riss sich zusammen und schloss die Tür ohne zurück zu linsen.

Heute war ihr nicht nach langem Brimborium zumute. Deswegen versteckte sie keine Scheine in den ewig selben Ecken und lagerte sich gleich in die Sitzgruppe, die wie alles in diesem Hause, sie und ihr Sohn ausgenommen, überdimensioniert war. Obwohl sie Stefans unfertig schlaksigen Körper sehr mochte, wenn er sich fast oder auch ganz nackt in die Ecken zwängte um Zwanzig- oder Fünfzigmarkscheine zu angeln, heute wollte sie ihn schneller. Gespannt was er diesmal aushecken würde, fläzte sie sich in die Polster. Es donnerte an die schwere Eichentür. “ Herein“ rief sie mit mädchenhafter Stimme, ahnend was nun folgte. Und wirklich, langsam öffnete sich die Tür und herein trat der Weihnachtsmann. Stefan trug eine Maske, an der Wattebart und Mütze gleich mit befestigt waren. Sein langer Körper steckte in einem dünnen roten Mantel, den es in jedem Supermarkt gab, die Füsse in seinen Motorradstiefeln, seine sehr weissen, behaarten Beine waren nackt. “ Draussen vom Walde da komme ich her, nur um dir zu sagen ich mach`s dir gleich sehr.“ intonierte er mit falschem Bass. „Und wo sind Sack und Rute, Weihnachtsmann“ piepste Sybille.

“ Ho, Ho du wagst es nach Sack und Rute zu fragen.“ schmetterte der dünnbeinige Weihnachtsmann, „die will ich dir zeigen, du Neugierling“. Dabei griff sich Stefan durch den Schlitz des roten Mantels, unter dem er also nackt war und nahm Sack und Rute in eine Hand so gut es eben ging. „Na schau genau hin du kleines böses Mädchen! Reicht dir das?“ Sein Fortpflanzungsmittel im Kreise schwingend ging er näher auf sie zu. Sybille wich tief in die Kissen. Der Weihnachtsmann schleuderte die Stiefel von den Beinen. Er stand jetzt gross vor ihr. “ Na willst du sie spüren, unartiges Kind du ?“ „Ja“ jauchzte Sybille. “ Dann nimm das!“ und warf ihr ein kleines Päckchen zu, das er mit der freien Hand aus der Tasche gefingert hatte. Sybille fummelte das Kondom auf. Es war knallrot und stellte einen Weihnachtsmann dar. Er stand jetzt sehr nah vor ihr und die Rute, die nichts von Stefans Dürrheit hatte, berührte fast ihre Nase. Sie nahm den Weihnachtsmanngummi und begann ihn langsam mit beiden Händen über die Rute zu rollen. Mit kräftigen Bewegungen straffte sie ihn. Dem Weihnachtsmann entfuhr ein Grunzen.

Plötzlich hörte sie ihren Jungen rufen: „Kuck mal Papa, der Weihnachtsmann ist schon bei Mama!“

Der kleine Thomas stoppte einen Meter vor dem Knecht Ruprecht und sah verständnislos auf den Spalt im roten Kittel aus dem ein weiterer Weihnachtsmann, sich zügig verkleinernd, heraus stand. Der grosse Thomas blieb im schwarz wollenen Mantel in der Tür stehen und starrte wie sein Sohn auf die Szenerie. Sybille zerrte an den Säumen des Weihnachtsmannmantels, doch die Rute lugte immer wieder hervor. Mit einem kräftigen Ruck verbarg sie Sie endgültig. Dann raffte sie ihren eigenen Morgenrock über den Brüsten zusammen, warf sich zurück in die Sofakissen und beobachtete Thomas, ihren Ehemann. Eine vergleichbare Situation hatte es noch nie gegeben. Auch wenn in ihr und ihrem Hirn nichts anderes mehr war als grosse dunkle Angst , so war sie doch ein wenig neugierig wie Thomas reagieren würde. Noch nie hatte er ihr gegenüber die Stimme, geschweige denn die Hand erhoben. Aber sie kannte auch seinen Blick und den gespannten Unterkiefer im runden Gesicht wenn er ihr von den wenigen Leuten berichtete, die sich seinen Plänen und ihren Wünschen entgegenstellten. Im Städtchen galt er als Vieh, sie kannte ihn als Kuscheltier. Was würde geschehen?

Stefan schiss sich bald in die Hosen, die er gar nicht trug. Ihr gefiel, wie ihr dicker Mann den um mehr als zehn Jahre jüngeren taxierte. Ohne jede Wertung, nicht abschätzig. Er besah sich einfach den Schlacks, der in lächerlichstem Aufzug, verbogen vor ihm stand und ganz offensichtlich eine Öffnung im Erdboden wünschte. Jetzt hatte Sybille einen Ausdruck für das was sich da vor ihr abspielte, Thomas ihr grosser, dicker Ehemann nahm Mass. Sie würde sich zwischen die Männer werfen, oder besser erst den Jungen retten.

„Thomas komm bitte zu mir“ sagte der Vater mit ruhiger Stimme zu seinem Sohn. Der Junge stellte sich neben seinen Vater und der legte ihm schwer die Hand auf die Schulter. “ Tja der Weihnachtsmann hat sich wohl ein bisschen in den Tagen geirrt. Er wollte ja sicher zu dir. Oder?“

„Ja, ja, sicher ja“, stammelte Stefan heiser, puterrot im Gesicht.

„Und weil du nicht da warst, wollte er die Mutti bescheren. Nicht war Herr Weihnachtsmann?“

„Herr Strunkowski ich bitte sie…“

„Na jetzt bist du ja da.“ unterbrach Thomas Strunkowski den Stotternden. „Ich bin gespannt was er dir mitgebracht hat. Einen Sack sehe ich nämlich nirgends. Vielleicht weiss die Mutti…“ Sybille schüttelte schnell den Kopf ohne Sohn und Mann ansehen zu können. „Thomas bitte!“ presste sie irgendwo hervor. Doch ihr Mann fuhr unbeeindruckt fort: “ Vielleicht fängt der Weihnachtsmann ja mal mit seinem Gedicht an. Du weißt schon Weihnachtsmann:“ Draussen vom Walde da komme ich her…““

Der halbnackte Weihnachtsmann zerbrach fast vor Anspannung. Kein Ton kam.

„Los jetzt du Weihnachtsmann! Draussen vom Walde….. Komm sprich mit wenn du deinen Text vergessen hast! Draussen vom Walde…..“ und Thomas fiel in das Gedicht ein. Sybille biss sich auf die Lippen vor Lachen. Die beiden Männer sprachen das Weihnachtsmanngedicht. Der Junge schaute immer entsetzter von einem Erwachsenen zum anderen. Er verstand das ganze Spiel nicht. Sein Vater bemerkte das. “ Also mein Junge ich habe den Eindruck, der Weihnachtsmann hat sich irgendwie geirrt. Kommt viel zu früh, hat weder Sack noch Rute, kann sein Verslein nicht und zieht sich aus zum Bescheren. Komischer Weihnachtsmann. Ich glaube der muss noch mal zurück in den Wald und sich ein bisschen gewissenhafter vorbereiten. Also ab! Du weißt ja wo es raus geht. Und vergiss deine Sachen nicht im Flur. So ein liederlicher Weihnachtsmann.“

Den Blick stur auf die Tür drückte sich Stefan wortlos an dem Ehemann vorbei. Den letzten Schritt zur Tür sprang er mit eingezogenem Kopf, fast als hätte er Angst so nah bei Thomas noch eine vor den Schädel zu bekommen. Draussen raffte er seine Sachen und verschwand, die Tür leise zuziehend, aus dem Haus. Nach einer kleinen Weile hörte man ihn davon knattern.